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Doch die Vergangenheit geistert herum, will sichtbar werden. Jahrhundertwende, Belle Époque, die Eleganz des pompösen Grandhotels, der Casinos, Tennisplätze, gestreiften Strandkabinen, prächtigen Badehotels und Sommervillen. Im herrschaftlichen Seebad Royan traf sich die Welt, Künstler, Dichter, ganz Paris und die Reichen aus Bordeaux. Meerbäder kamen in Mode, die Perle des Ozeans, wuchs und glänzte während Jahrzehnten, überstand den Ersten Weltkrieg ohne Kratzer, aber nicht den Zweiten. Das Ende der luxuriösen Epoche kam in drei Schritten. Die sozialistische Regierung hatte 1936 in Frankreich zwei Wochen bezahlten Urlaub eingeführt. Der Volkssturm auf die Seebäder brachten Royan die zweifelhaften Segnungen des modernen Massentourismus, der Einmarsch der deutschen Wehrmacht am 24. Juni 1940 nahm dem Badeort sodann allen Glanz. Aber endgültig beendet wurde die prunkvolle Vergangenheit mit der beinahe kompletten Zerstörung der besetzten Stadt durch alliierte Bomber am 5. Januar 1945.
Danach blieb nur ein resoluter Blick in die Zukunft. Etappenweise eine Stadt vom Reißbrett aufbauen, mutig im Zeitgeist der radikalen Moderne, weder geleitet von pragmatischer Ökonomie noch nostalgischer Restauration. Aber mögen muss man diesen Fünfzigerjahrearchitekturstil schon. Zum Beispiel der berühmte Front de Mer, Symbol des eigenwilligen Wiederaufbaus von Royan in den Fünfzigern, mittlerweile mehrmals renoviert, Bausubstanz eher schlecht, und unübersehbar auf allen Ansichtskarten. Zwei je fast zweihundert Meter lange Gebäude mit Appartements, nur drei Stockwerke hoch, die in einer elegant gezogenen Kurve der Linie des Meers folgen und die dahinter liegende Stadt abschirmen. Aber eine imaginäre Wasserlinie, die ganze Anlage liegt nicht mehr am Meer. Das kleine Stadtzentrum, symmetrisch angelegt, dominieren großstädtisch doppelspurige, um nicht zu sagen großspurige Boulevards.