Читать книгу Die Stimme des Atems. Wörterbuch einer Kindheit онлайн
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Dampfdreirad
Als Jüngster trage ich mehr aus als an, übernehme mehr, als ich gekauft bekomme; die Anspruchslosigkeit in der Garderobe ist mir geblieben. Das Velööli, ein Dreirad, nehme ich in Gebrauch, als es bereits bös vernutzt ist. Ich fahre es bis auf den Schrottplatz, übe vormittagelang auf der Veranda. Die Hartgummireifen fallen aus den Felgen. Sie werden nicht ersetzt, es gibt während des Krieges kaum derartigen Luxus, auch knirschen und kratzen die Räder fortan metallisch auf dem Beton, und das tönt mir wie die Eisenbahn. Das Dreirad wird zur Lokomotive meines Zugs. Die Glocke wird umfunktioniert: Ich schraube den metallenen Deckel los, klemme trockenen Riesenporling vom kränkelnden Edelkirschbaum ins Läutwerk und drehe den Deckel erneut fest. Mit der Lupe des Vaters entfache ich das Feuer. Schwämme glimmen mit graugelblichem Rauch und beizendem Schmorgeruch und veraschen nur langsam.
Der Zug ist unter Dampf; ich lege mich bäuchlings auf den hölzernen Sitz, ergreife die Pedale mit den Händen und verkehre knirschend und gierend zwischen dem Westbahnhof vor der Küchentür und der Station am Ostende der Südveranda. Die Glocke tönt erstickt und dumpf, etwas ist ihr in der Kehle steckengeblieben – kein Wunder, wir kommen aus einer rauchbraunen Ferne. Passagiere mit Überseekoffern steigen aus, auf den Perrons wartet ungeduldig die Menge der Urlaubs- und Geschäftsreisenden. Stolze Destinationen schwirren mir im Kopf: Ohne Halt bis St. Petersburg und Paris! An andern Tagen steigen nur Bauern, Arbeiter und Handlungsreisende zu, der Zug hält in Schafhausen und Walkringen. In Oberdiessbach wird er aufs Abstellgleis geschoben. Was würden Grosseltern, Tanten und Onkel von mir denken, wenn ich an ihnen vorüberdonnerte. Ich verbeuge mich höflich.