Читать книгу Inspiration Schweiz. 70 Autoren, Künstler, Musiker, Schauspielerinnen an 70 Schauplätzen онлайн

73 страница из 76

Im Juli reiste Tolstoi über Bern nach Luzern, wo er im Schweizerhof, dem besten Hotel am Platz, abstieg. Als er zum ersten Mal in seinem Zimmer ans Fenster trat, wurde er – so schildert er es in seiner autobiografischen Erzählung «Luzern» – von der Schönheit des Sees, der Berge und des Himmels «geblendet und erschüttert». Doch die «seltsam majestätische und zugleich unsagbar harmonische und weiche Natur» schien ihm bedroht durch den Menschen, der gegen die «Bewegung, Asymmetrie» und die «abenteuer­lichen Formen» der Seelandschaft einen «dumm und gekünstelt weissen, schnurgeraden Uferweg» gesetzt hatte, der, so Tolstoi, nur gebaut worden war, damit die Engländer den See entlang spazieren konnten.

Die Engländer! Sie, gegen die er seit dem Krimikrieg, den er in der Festung Sewastopol erlebt hatte, eine heftige Aversion entwickelt hatte, waren Tolstoi in der Schweiz wiederholt auf die Nerven gegangen. Auch beim gemeinsamen Abendessen im Schweizerhof brachten sie ihn in Rage. Wie sie am Tisch sassen, mit ihren wunderbaren Kleidern und ihren schönen, aber völlig teilnahmslosen Gesichtern, und sich nicht für ihren unbekannten Tischnachbarn interessierten! «Dabei sind alle diese Menschen doch bestimmt nicht dumm und nicht gefühllos, sicherlich geht in vielen dieser erstarrten Menschen das gleiche innere Leben vor sich wie in mir. Weshalb berauben sie sich also einer der grössten Freuden des Lebens – des Genusses aneinander, des Genusses am Menschen?»

Правообладателям