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Der Vater war nicht nur ein Grabkreuzsammler, sondern ein Uhrensammler, in erster Linie. Die Uhren haben ihn überlebt und ticken auf ihre verschiedenen Arten. Die getriebenen Zifferblätter mit ihrem Kupferschimmer, die Bleigewichte, Uhrenschlüssel, die Unruhen in den Uhren, ziselierte Gehäuse, mannigfaltige Töne beim Viertelstundenschlag, mit Samt unterlegte allegorische Figuren, die grünlich getönten Summiswalder, auch zwei seltene Zappeler und eine vom Hofuhrenmacher Ludwigs XIV., Louis Martinot, und die vielen Perpendikel. Es tickte, knackte, tönte aus allen Ecken, es schlich auf vielen Zifferblättern, es ging ringsum, ringsum. Den Vater hatte es schon früh gepackt, so dass er überall im Ausland Uhren suchen musste, aus Wien und vom Flohmarkt in Paris kam er mit barocken Stücken heim. Einmal kam er mit einer Orgeluhr nach Hause, die zwölf verschiedene Volksweisen pfiff, für jede Stunde eine andere. «Jetzt gang i ans Brünnele, trink aber net» war die Einuhrmelodie. Diese Uhr war hörbar bis zur Tramhaltestelle St.Fiden, wo die Leute aufhorchten, wenn es hinausdrang in die Mittagsstille. Eine andere Uhr hat er heimgebracht mit einem ovalen kupfernen Zifferblatt, darauf war ein Lustgarten eingraviert, in der Mitte des Gartens ein Brunnen mit Frauenstatue, die Wasser aus ihren Brüsten spritzte, zwei Sprutz Liebfrauenmilch ins Becken, dem sich höfisch gekleidete Männer näherten, die ihren Frauen unter die Röcke griffen, ca. 1730, aus dem süddeutschen Raum. Wohin sie griffen, habe ich erst in der Pubertät begriffen, vorher war es für mich einfach ein golden schimmerndes Zifferblatt, aber in der Pubertät stand ich oft vor dieser Uhr und spürte meinen Schwengel wachsen. So hat mein Vater die Zeit gesammelt, die ihm sonst viel schneller verrieselt wäre, und hat die Zeit konzentriert in seinem Haus eingeschlossen, die vergangene höfische Weltzeit aus Frankreich und der Donaumonarchie. In dem verwunschenen Haus war alles gerichtet für den Empfang des Kaisers, vergilbte Stiche und Zinnplatten und alte halbblinde Florentinerspiegel und Intarsienschränke und Meissner-Porzellan und die Uhr des Hofuhrenmachers Louis Martinot und Silberbesteck, aber der Kaiser ist nicht gekommen, also füllte der Vater den Rahmen mit den nächstbesten Leuten, die zu haben waren, zu denen er nicht gehörte, zu denen er aber aufschaute, der Vater war nämlich dem Kleinbürgertum zugehörig, christlichsozial gestimmt sein Leben lang, war Revisor bei der Darlehenskasse System Raiffeisen, beruflich gesehen hätte er Umgang haben müssen mit Prokuristen und Kassierern. Doch der gediegene Rahmen schrie nach einem gediegenen Bild, und darum haben uns die Uhren einen leibhaftigen Bundesrat ins Haus getickt, Holenbein oder Holenstein oder Holbein, ich weiss nicht mehr genau, auch päpstliche Hausprälaten und Gardekapläne und sogar die Witwe Saurer, die Lastwagenerbin aus Schloss Eugensberg. Diese war sehr herablassend. So pendelte der Vater zwischen den Klassen, ein ewiger Perpendikel. Jetzt gang i ans Brünnele, trink aber net. In den Vater war eine Unruhe eingebaut.

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