Читать книгу Das eigene Leben. Reportagen онлайн
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Wenn man vom Vaterhaus weg in den Süden geht, kommt man über eine lange Stiege zur Speicherstrasse, die ins Appenzellische führt, hat einen weiten Ausblick über den Bodensee bis ans deutsche Ufer. Zuerst eine Anstrengung auf der langen Stiege, dann der schöne Weitblick. Der Vater nannte das einen lohnenden Spaziergang. Ich war etwa vier Jahre alt, da haben sich die St.Galler in lauen Kriegsnächten dort oben versammelt und nach Friedrichshafen geglotzt, wo ein Feuerwerk abgebrannt wurde bei den Dornier-Flugzeugwerken. Mir schien dort drüben ein besonders lohnender Erstaugust gefeiert zu werden, Geräusche wie von Raketen und Knallfröschen und ein Feuer wie das Bundesfeuer auf dem Freudenberg, manchmal bebte auch die Erde wie beim Vorbeifahren der Speicherbahn, und lustige Feuergarben und Leuchtkugeln standen am süddeutschen Himmel, und über unsern Köpfen war ein dumpfes Rollen, ein Tram fuhr den Himmel entlang. Am nächsten Sonntag predigte der Vikar Hugenmatter in der Kirche von St.Fiden, der sanfte Hugenmatter mit den Haselnussaugen und dem welligen Haar, nahm Bezug auf den Feuerschein, sagte, der hl. Landesvater Bruder Klaus habe die Heimat wieder einmal gnädig behütet, nach der Predigt singen wir das Lied: «O Zier der Heimat Bruder Klaus o Vorbild aller Eidgenossen.» Seit dieser Zeit hat der Vater eine Abneigung gegen die Schwaben gehabt, die er in zwei Aktivdiensten bekämpfte, zuletzt als Brückenwache in Gonten/ai. Der Gefreite Alois M. hat seine militärischen Effekten immer in einwandfreiem Zustand gehalten, die Schwaben sind dann auch wirklich nicht bis nach St. Gallen vorgedrungen, dieser Hitler, der dank dem Frauenstimmrecht an die Macht gekommen ist, wie der Vater immer mit einem triumphierenden Lächeln zur Mutter sagte, wenn die Rede aufs Frauenstimmrecht kam oder auf Hitler. Nachdem der Abwehrkampf nach aussen erfolgreich verlaufen war und die Deutschen 15 km vor St. Gallen gestoppt werden konnten, auf der Linie Buchs–St. Margrethen–Rorschach, hat es der Vater sehr empfunden, dass ich ihm lange nach Kriegsende eine Deutsche in die Familie einschleppte, die Byrgit aus Hamburg, die ich vor der Verlobung, die dann nicht zustande kam, einige Tage in St. Gallen akklimatisieren wollte. Aber obwohl Byrgit grosses Interesse für seine Uhren entwickelte, hat der Vater all die Tage kaum ein Wort mit ihr gewechselt. Ich habe damals nicht viel gehabt von der Byrgit und ihren Zitterbrüsten, ihren steifen Wärzchen und flaumig-schwäbischen Schenkeln, wir wurden getrennt untergebracht im ersten und im dritten Stock, der Vater wollte den Lustgarten nur auf Zifferblättern dulden. Es war ein bitterkalter Winter, und wir versuchten auf einen Heustock auszuweichen ins Appenzellische hinauf, verkrochen uns in einen Stall in der Nähe von Trogen, wo damals die Maul-und-Klauen-Seuche herrschte, und alle Ställe mit einem Sägemehlkreis umgeben waren, zum Zeichen, dass man nicht eindringen dürfe wegen Ansteckungsgefahr. Aber wir durchbrachen den Sägemehlkreis, bestiegen den Heustock, schälten uns aus den Kleidern, die Halme stachen ins Fleisch, wegen der Kälte ging es zuerst nicht richtig, als ich endlich in die Byrgit eindringen konnte, tönte ein Hundegebell vor dem Stall, knarrend ging die Tür auf, und ein Appenzeller-Bauer mit seinem Bläss rief: Was treibt ihr dort oben? Die Kleider zusammenraffend, sagte ich: Wir machen ein Picknick, es ist kalt draussen. Der Bauer eskortierte uns auf den Polizeiposten nach Trogen, wo die Personalien überprüft und wir auf die Symptome der Maul- und-Klauen-Seuche aufmerksam gemacht wurden, die wir vielleicht jetzt mit uns herumtrügen. Wer weiss, sagte der Kantonspolizist, denn sie sei auch auf Menschen übertragbar.