Читать книгу Das eigene Leben. Reportagen онлайн

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Wenn man aus dem Haus nach Norden geht, ist man sofort beim Primarschulhaus. Noch immer die Gerüche aus der Kindheit, die Bodenwichse und der Kiesplatz, nur der Abwart Merz ist nicht mehr da. Und dort hinter der Tür im ersten Stock das Pissoir, schwarz gestrichen, wo der Lehrer Tagwerker, der immer von Müllern und Mühlsteinen und Mühlrädern vorlas, jeden Tag pünktlich um fünf nach zehn brünzelte, es klappert die Mühle am rauschenden Bach klippklapp, man konnte seine Uhr danach richten, wenn man schon eine geschenkt bekommen hatte zur Firmung oder Konfirmation. Wir wurden angehalten, ebenso pünktlich zu brünzeln in der Pause. Nicht alle haben es gelernt, Seppli Allenspach, der immer in löchrigen Strümpfen und mit seiner Schnudernase in die Schule kam vom Hagenbuchquartier herunter und der später in der Nähe des Gaskessels wohnte, hat es nie kapiert, streckte mitten in der Geschichte vom Grafen Eichenfels seinen Arm auf und wollte hinaus, musste sein Wasser zur Strafe dann einige Minuten zurückbehalten. Er ist dann auch in der dritten Klasse sitzengeblieben. Der Lehrer war kein Tyrann, nur sehr ordentlich, er galt als Reform-Lehrer, hatte viele neue pädagogische Ideen, Tatzen haben wir selten bekommen. Bei ihm haben wir auch gelernt, dass man die Tätigkeit des Scheissens nicht Scheissen nennen darf, sondern: ein Geschäft machen, äs Gschäft, auch seichen durften wir nicht mehr, sondern nur noch brünzeln oder brünnele. Sehr jung haben wir gelernt in St.Fiden-St. Gallen, dass ein Geschäft etwas Selbstloses ist, man gibt das Liebste her, das man hat, und verspürt Erleichterung dabei. Oder war damit etwas Schmutziges, aber Naturnotwendiges gemeint? Jedenfalls war Geben und nicht Nehmen gemeint. Rolf Ehrenzeller, der Sohn des Tramkondukteurs, und Seppli Allenspach haben weiterhin geschissen bis weit in die dritte Klasse hinauf, vielleicht machen sie auch heute noch keine Geschäfte, sie hatten Schwierigkeiten mit der neuen Sprache, durften die altvertraute Tätigkeit plötzlich nicht mehr beim Namen nennen. Dem Lehrer Tagwerker bin ich viel später einmal im Trolleybus begegnet und habe ihm seine Krawatte öffentlich straffgezogen, die mir unordentlich gebunden schien. Da wurde er ganz blass in seinem zeitlosen Gesicht, das unverändert in die Welt hinaus glänzt.

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