Читать книгу Das Gesetz des Wassers. Ein Tanner-Kriminalroman онлайн

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Neben der Friedmatt gab es für das quasi Nicht-Normale noch einen Ort: die Webstube. Werkstätten für alle, die in den Augen der Gesellschaft zwar nicht normal, aber ungefährlich waren. Das waren vor allem die Mongoloiden, wie man sie damals noch nannte. Inklusive alle anderen Arten von geistig und körperlich Behinderten, für die man noch nicht so differenzierte Bezeichnungen hatte wie heute, außer natürlich den unflätigen. Also nannte man sie allesamt die Webstübler. Man erkannte sie schon von weitem an ihren völlig deplatzierten Kleidern und Mützen. Sie wurden aus Kleidersammlungen für Arme versorgt.

In der nächsten Umgebung der Friedmatt waren auch ein Friedhof, die Kehrrichtverbrennung, eine Knochensiederei, die Großwäscherei für Spitäler und eine Sammelstelle für Kadaver angesiedelt.

Alles, was man in der Stadt nicht mehr haben wollte, und alles, was erst gründlich ausgekocht, gewaschen, durch die Mangel gedreht, therapiert, mit Medikamenten quasi »chemisch gereinigt« werden musste, bevor man es wieder in die Stadt hineinlassen konnte, war in diesem Stadtteil versammelt. Ort der Ausgrenzung. Ort der Verwandlung. Der Gärung. Der Zersetzung. Der alchemistischen Prozesse. Es roch nach Tod. Oder wie man in Tanners Geburtsstadt sagen würde: es schmeckt nach Tod … Heute wird er das noch mal mit anderen Augen sehen.

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