Читать книгу Ein Bruder lebenslänglich. Vom Leben mit einem behinderten Geschwister онлайн
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Die wurmstichige Stiege im Treppenhaus sowie die Parkettböden in der Wohnung mussten wöchentlich gebohnert werden, damit sie wieder schön glänzten. Die darauf liegenden Teppiche wurden sorgfältig zusammengerollt und auf der speziell dafür vorgesehenen Teppichstange vor dem Haus tüchtig durchgeklopft. An dieser Teppichstange übten wir Kinder unsere ersten Kunststücke: «Flugzeug», «Bär» und «Glocke». Für die «Glocke» hängten wir uns kopfüber an die Stange. Im Hängen fiel uns Mädchen der Rock über den Kopf, sodass wir wie eine Glocke baumelten. Eine besondere Mutprobe war der «Glockenabsprung», bei dem man hin und her schwingend kopfüber von der Stange springen musste. Man sah nackte Beine und Unterhosen. Grossmama und Tante Gret war dieses Herumturnen ein Ärgernis.
Für die schwereren Putzarbeiten konnte die Mutter auf die Unterstützung von Frau Kunz zählen. Frau Kunz war eine kräftige, wenn auch schon grauhaarige Frau. Immer sehr freundlich, konnte man ihr nicht ansehen, wie viel Schweres sie in ihrem Leben durchgemacht hatte. In jungen Jahren aus dem kriegsversehrten Deutschland in die Schweiz geflüchtet, wurde sie schon sehr früh mehrfache Mutter und hatte in kümmerlichen Verhältnissen acht Kinder grosszuziehen. Da ihr Mann wegen einer Muskelkrankheit nicht mehr arbeiten konnte, musste Frau Kunz bei fremden Leuten putzen und waschen gehen, um die Familie zu ernähren. Der Mann versuchte, als Hausierer etwas dazuzuverdienen. Herr Kunz kam mehrmals jährlich mit seinem Hausiererkasten bei uns vorbei. Er führte ein kärgliches Sortiment an Schuhbändeln, Schuhwichse und Abwaschlappen. Unsere Mutter hatte immer ein grosses Herz für Hausierer, und so kam es, dass wir immer ein ganzes Arsenal an braunen Schuhbändeln, Wichse und Waschlappen horteten.