Читать книгу Ein Bruder lebenslänglich. Vom Leben mit einem behinderten Geschwister онлайн

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Herr Kunz – klein gewachsen und beim Gehen mit dem ganzen Körper wackelnd – konnte sich nur mühsam mithilfe von zwei Stöcken vorwärtsschleppen, ein ungewohnter Anblick für uns Kinder. Ich turnte gerade mit Trixli an der Teppichstange, als Herr Kunz von seinem Schuhbändelverkauf bei unserer Mutter aus dem Hause trat.

Trixli wohnte nebenan. Mit ihrem blonden Lockenschopf sah sie wie ein kleiner Engel aus. Wie gerne hätte auch ich so einen goldi­gen Lockenkopf gehabt. Mama wusch uns deshalb unser braunes Haar immer mit «Schwarzkopf Shampoo extra blond», und um mich zu trösten, bestätigte sie mir, dass ich auch Locken hätte, «steckengerade» eben.

Das blond gelockte Trixli humpelte nun – von Herr Kunz unbemerkt – einige Schritte hinter ihm her und ahmte seinen hinkenden Gang nach: «Schau, so geht der.» Ich fand jedoch, dass Trixli mit ihrem Humpelgang völlig falsch lag. Die Bewegungen von Herrn Kunz ­waren viel verschrobener. «Nein, so», korrigierte ich Trixli, verdrehte meine Beine und wackelte dazu mit dem Kopf. Schon unterbrach mich die scharfe Stimme der Grossmutter. Da stand sie unter dem Küchenfenster wie der Engel beim Jüngsten Gericht. «Du solltest dich schämen, diesen armen Mann auszulachen! Besonders, da du ja selbst einen kranken Bruder hast.» Wir hatten uns über Herr Kunz nicht lustig gemacht. Mit kindlicher Neugier hatten wir lediglich versucht, sein ungewöhnliches Bewegungsmuster zu imitieren. Doch ich bekam Hausarrest und musste den ganzen Nachmittag bei Grossmutter in der Wohnung bleiben. Von draussen riefen mich meine Spielkameradinnen. Sie bettelten so lange, dass ich rauskommen sollte, bis ich mich an dem fast ebenerdigen Fenstersims langsam hinuntergleiten liess und mich zu ihnen gesellte.

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