Читать книгу Am Äquator. Die Ausweitung der Gürtellinie in unerforschte Gebiete онлайн

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Je näher er ihr kommt, desto mehr schwindet sie, löst sich in Glanzflecken und Schadstellen auf. Abschnittweise, als Ganzheit nicht überblickbar, wird die Arbeit zu einem rein technischen Vorgang, der Bildinhalt und Bedeutung aufsaugt. Bis gestern haben ihn die Figur und ihre tatsächlich bedrohliche Situation auch nicht wirklich interessiert. Aber heute, an diesem Tag, weiss der Teufel.

Es ist, als spüre er eine Regung von ihr, wenn er zunächst mit dem Kunsthaarpinsel, der ist verlässlicher als der Marderpinsel, zum Venushügel vordringt, um dort mit dem befeuchteten Wattebäuschchen die Lasur aus Schmutz abzutupfen, der Reinigungsvorgang kommt ihm plötzlich rituell vor, als appliziere er eine sexuelle Initiation, wie frevelhaft, wo doch zwinglianische Rituale immer über der Gürtellinie stattfinden, er darf also bloss ein wenig um die Leibesöffnung herum tamponieren, die Zeremonien des Züribergs, wo er aufwuchs, sind eine religiöse Trockenübung. Er ist ihr Kustos, Hüter ihrer Reinheit, ach was, das klingt fast schon katholisch, also zu theatralisch. Die Situation verhält sich doch so, dass ihr nichts geschehen darf, nicht das Geringste darf ihr geschehen. Zu Hodlers Zeiten, da ein Modell dem Künstler schutzlos ausgeliefert war, ist ihr wahrscheinlich schon zu viel passiert.

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