Читать книгу Am Äquator. Die Ausweitung der Gürtellinie in unerforschte Gebiete онлайн
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Eigentlich braucht der Unterleib keine Retusche, beschliesst er am nächsten Tag. Seine Standfestigkeit erträgt das wankende Gelände, ein Hochmoor, aus dem sich der mit brackigem Grün bedeckte Felsen abzeichnet, da sind ein paar schüchterne Blümchen, sie verheissen keinen Frühling.
Der Beauftragte des Fachkollegiums nennt das berühmte Bild aus dem Jahre 1902, von welchem Hodler zwei Fassungen herstellte, die Apotheose vor dem Untergang. Er selber hält den Vorgesetzten für einen Schwärmer, dabei begriffsversessen, als ob man diesem Maler mit Theorie beikommen könnte. Das ist ein Naturbursche gewesen, ein Pinselberserker, der Augen zu sehen hatte und Hände zu formen.
Der Restaurator sieht hier ein Mädchen, das Hodler auf die Füsse stellt, nur im Stand kann es sich wehren, und der Meister stellt diese Wahrheit nicht auf die Frühlingswiese, wie gesagt, sondern auf eine diffus lavierte Leerstelle. Das ist eine Information.
Der Restaurator legt die Handfläche über das linke Auge und schickt das rechte wie einen fotografischen Sucher über die Leinwand, in Slow Motion schwindet jede theoretische Überhöhung, so kommt, dass der Symbolismus, der diese Epoche (der Secession, an der Hodler teilnimmt) verbrämte, hier nichts mehr zu suchen hat. Hier tut sich eine Brache auf, sie gähnt ihn an, sie irritiert, da ausgerechnet im Umfeld des Mädchens, warum. Enthält sie vielleicht den archimedischen Punkt, an dem der späte Hodler entspringt, über das Nichts springt, den Abgrund, der ihm der Alltag zuweilen sein mag, hinauf zu den Alpen und ihrer kantigen, hochgradigen Präsenz. Ihre Majestät, die Hodler’schen Alpen, da gibts dann nix mehr zu deuteln, da sind dann alle vereint auf dem Gipfel der interpretatorischen Eindeutigkeit.