Читать книгу Im Fallen lernt die Feder fliegen. Roman онлайн
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Heute noch tue ich das manchmal. Ich sage laut Gedichte auf und stelle mir das Publikum dazu vor. Oder ich trage sie Bäumen vor oder Spielzeugen, welche die Kinder in einem Sandkasten vergessen haben, oder leeren Stühlen im Gruppenraum der Bibliothek oder Tieren auf einem Spaziergang. Hauptsache ein Publikum, das mich nie fragt, seit wann ich in der Schweiz bin oder wo meine Familie ist. Ein Publikum, das versteht, dass das Wort watan für mich trocken bleibt, egal wie viele Flüsse hindurchfließen. Beim Vortragen sehe ich das Gesicht meines Vaters vor meinen Augen.
Gestern Abend habe ich diese alte Gewohnheit wieder aufgenommen. Ich habe meinen arabischen Gedichtband hervorgeholt und darin gelesen. Aber auch hier fand ich keine Ruhe, ein Gefühl der Entfremdung hatte mich erfasst. Ich nahm mein Handy und schrieb Daniel eine SMS: «Lieber Daniel, ich hoffe, du bist gut angekommen. Danke für deine kurze Nachricht. Ich vermisse dich, doch das ist nicht das Einzige, was mich antreibt, dir jetzt zu schreiben. Deine Worte beschäftigen mich. Dass die Ehrlichkeit selten sei und dass eine Beziehung ohne diese es nicht wert sei, weiterzubestehen. Ich bin nicht perfekt, aber ich bin ehrlich. Was willst du denn von mir wissen? Die Vergangenheit schreit in meinem Kopf wie ein verletzter Wolf, jede Nähe zu ihm signalisiert mir Gefahr.»