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Der DienerPeterstand auf der Terrasse des Lestowschen Herrenhauses und schlug den Gong. Die Mahlzeiten mittels dieser Töne anzukündigen, hatte die Baronin eingeführt und zur Gepflogenheit gemacht, seit sie mit ihrem Gatten in England gewesen war. Und obwohl der Diener Peter nun doch schon etlicheJahredas Instrument bediente, schämte er sich immer noch ein wenig, den kindischen Lärm zu verursachen, besonders da die Töne bis in die Dorfstraße drangen und ihm einst den Spitznamen Trommler eingetragen hatten. Daher schlug er den Gong diskret, entlockte ihm nur wenige dunkle Töne, die rund in die Stille des Parks rollten, und der Rest war ein flaches unmusikalisches blechernes Etwas, das dünngewalzt verhallte.

Im langsamen Schritt durch die mittägliche Dorfstraße reitend, hörte Elisabeth, wie der Diener Peter auf der Terrasse leise den Gong schlug und zum Umkleiden mahnte. Trotzdem beschleunigte sie nicht den Schritt des Pferdes, und wäre sie nicht so sehr in Gedanken gewesen, es wäre ihr aufgefallen, daß sie heute vielleicht zum erstenmal in ihrem Leben eine Art Widerstreben gegen die Gemeisamkeit des Mittagstisches empfand, ja, daß die Heimkehr in den schönen friedlichen Park, der Eingang zwischen den beiden Pförtnerhäusern, ihr eine große Beklemmung auferlegte. Eine beunruhigende Sehnsucht nach Ferne war in ihr aufgekeimt und zugleich mit der Sehnsucht ein absurder Gedanke, doppelt absurd in solcher Mittagshitze: daß Bertrands Leben in diesem allzu rauben Klima nicht gedeihe und daß er deshalb fliehend stets aufs neue Abschied nehmen müsse. Die Gongschläge waren verhallt. Sie saß im Hofe ab, der Reitbursche hielt ihr den Bügel und eilig ging sie ins Haus: die Schleppe über den Arm geworfen, ging sie die Stufen hinauf, ging gewohnten Weg, dennoch ein wenig im Traume. Ein zarter Mut war über sie gekommen, eine etwas traurige Freude hinzugehen, wohin sie wollte, selber ihr Schicksal in die Hand zu nehmen und es zu bestimmen; aberalldies gelangte nicht sehr weit, blieb stecken in der Überlegung, was die Eltern sagen würden, wenn sie im Reitkleid bei Tische erschiene. Auch Joachim v. Pasenow wäre jemand, der sich ob solchen Verstoßes schokkieren könnte. Das Hündchen Bello kam kläffend die Stiege heruntergerast, mechanisch gab sie ihm den Reitstock, aber sie lächelte nicht über den Stolz, mit dem er den Stock ins Boudoir voran trug, und so artig Bello ihn ihr vor die Füße legte, andächtig zu ihr aufschauend, als würde er in ihrer Schönheit Erfüllung und Vollendung finden, Elisabeth streichelte ihn nicht, sondern trat vor den Spiegel, blickte lange hinein, ohne sich zu erkennen, sah bloß die schwarze schmale Silhouette, und es war, als würde das Spiegelbild, als würde sie selbst sich enteilen in einer Unbewegtheit, die erst langsam sich löste, da die Zofe eintrat, um täglichem Brauche gemäß beim Aufhaken des Reitkleides behilflich zu sein. Aber als das Mädchen vor sie hinkniete, ihr die Reitstiefel abzustreifen, als der gestreckte Fuß mit einem leichten, kühlen Gefühl aus der Lackröhre schlüpfte und schmal im schwarzen Seidenstrumpf auf des Mädchens Knie lag, suchte sie aufs neue im Spiegel das enteilende Bild, das gleichsam ein Wegeilen war zu irgend jemand, der irgendwo lebte, und der irgendwann vielleicht vor ihr niederknien wird. Die Reitpeitsche lag noch immer dort auf dem Teppich. Elisabeth versuchte, sich Bertrand am Bahnhof vorzustellen in eckiglangem Uniformrock, einen Degen an der Seite, und daß der enteilende Zug ihn erfassen könnte. Irgendeine böse Freude war in dieser Vorstellung und doch eine würgende und noch nie empfundene Angst. Sie saß mit zurückgebeugtem Kopf, die Hände an den Schläfen, als könnte sie durch solche Stellung sich aus dem Befehl eines ungewohnten Zwanges befreien und lösen. »Es ist doch nichts geschehen«, sagte etwas in ihr und sie begriff nicht die vage Spannung, die trotzdem so seltsam deutlich schien, daß man sie beinahe in Worte fassen konnte: die Welt zerschneiden. Sicherlich war es nicht ganz deutlich, aber es war eine Grenzscheide gezogen, und was einstens einheitlich gewesen, diese Welt des Geschlossenen, zerfiel, und die Eltern standen jenseits der Grenze. Dahinter war die Angst, jene Angst, vor der die Eltern sie schützen wollten, als würde ihrer aller Beisammensein davon abhängen: das Gefürchtete, es war jetzt hereingebrochen, sonderbar erschütternd und spannend und doch keineswegs fürchterlich. Man konnte einem Fremden du sagen; das war alles. Und das war so wenig, daß Elisabeth beinahe traurig wurde. Resolut erhob sie sich; nein, sie will sich nicht einer platten und sentimentalen Melancholie hingeben. Sie geht zum Spiegel und streicht sich die Haare zurecht.

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