Читать книгу CHANGES. Berliner Festspiele 2012–2021. Formate, Digitalkultur, Identitätspolitik, Immersion, Nachhaltigkeit онлайн

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CP: Ihre Mutter verließ dann den Raum.

WK:Sie konnte es nicht ertragen. Sie war neun bei Kriegsbeginn, alles Deutsche war ihr verleidet. Es war die Generation, die sich nicht in der Lage sah, ein deutsches Auto zu kaufen, und erst in den Siebzigern wieder nach Deutschland reiste. In der jüdischen Community von Johannesburg war das weit verbreitet. Meine Mutter hätte nie eine Wagner-Oper besucht oder einen Liederabend.

CP:Berlin haben Sie zum ersten Mal 1981 besucht, wie war das?

WK:Wir sahen (auf Deutsch:) Die Macht des Schicksals, außerdem Brecht am Berliner Ensemble. Brecht war wichtig in Südafrika, sein Theater galt als Modell für politisches Theater mit radikalen Wurzeln. Das marxistische Gedankengut war uns vertraut. Ich sage gerne: Die beiden großen Rabbis des 19. Jahrhunderts waren Karl Marx und Sigmund Freud. Ihr Gedankengut hat mich geprägt, ohne dass ich ein Marxist oder ein Freudianer wäre.

CP:Und wie haben Sie Berlin als Stadt wahrgenommen?

WK:Der Zweite Weltkrieg war allgegenwärtig. Die Hälfte der Häuser war zerstört, die andere Hälfte voller Einschusslöcher. In Westberlin waren die Fassaden zwar repariert, aber man konnte es immer noch sehen. Das ist jetzt vollkommen anders. Ich wohne in einem Hotel unweit vom Checkpoint Charlie, der ehemalige Grenzübergang ist eine Disney World geworden, mit Trabi-Safaris, verrückt. Ich suche immer nach den Spuren der Vergangenheit, auch beim Pergamon-Altar gucke ich sofort, was ist alter Marmor, was ist ergänzt. Der schwedische Zimmermann, der den Elefanten in der Ausstellung hier gebaut hat, wollte kein deutsches Eichenholz verwenden. Ich dachte, ist das schwedischer Chauvinismus? Nein, es hat praktische Gründe, deutsche Eiche ist voller Schrapnell-Splitter.


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