Читать книгу Die Regeln. Kodex für Radsportjünger онлайн

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Der Besitzer des Ladens war normalerweise ein älterer Herr, womöglich zu seiner Zeit ein Amateurrennfahrer von nationaler Klasse, der immer noch bei Vereinsrennen auftauchte, ordentlich Druck unter den Hufen hatte und auf einer Maschine saß, die vor zwanzig Jahren ein absolutes Topmodell gewesen war, nun aber von den jungen Schnöseln als vorsintflutliches Relikt belächelt wurde. An Renntagen konnte er ihnen immer noch eine gute Portion reinster V servieren, und obschon sie weiter über sein Rad spotteten, hatten sie doch Hochachtung vor seiner Fähigkeit, 15 Kilo Stahl in einem Affenzahn über die Strecke zu wuchten. Während die Falten in seinem Gesicht von einem langen Leben zeugten, das er der Sonne und dem Wind ausgesetzt und stets am Anschlag fahrend verbracht hatte, sahen seine Beine aus, als gehörten sie einem Mann, der viele Jahrzehnte jünger war als er. Glatt wie Seide, hart wie Stein, Adern wie schwere Blutschläuche, die zu einem Pferdeherzen führen.

Mit dem Siegeszug des Internets wurden diese Doyens des Radsports immer seltener und drohten bald sogar auszusterben. Immer noch wurden neue Radläden eröffnet, aber das Personal war nun viel jünger und die Chefs hatten einen völlig anderen Hintergrund: Waren es früher Radsportler gewesen, die alles über ihr Fach wussten, aber oft nicht viel von Buchhaltung und Controlling verstanden, so waren es nun in erster Linie Absolventen der Betriebswirtschaftslehre, die wohl in ihrer Freizeit auch ein bisschen Rad fuhren. Das Sortiment verlagerte sich von reinrassigen Rennmaschinen hin zu allgemeineren Fortbewegungsmitteln mit zwei Rädern. Radfahren stellte für die neuen Ladenbesitzer weniger eine Passion oder Lebensart dar als vielmehr nur eine Form der Körperertüchtigung und der Fortbewegung. In solchen Läden eine Campagnolo-Kette zu kaufen, war ein Unterfangen, bei dem man ausdruckslosen Blicken und albernen Fragen ausgesetzt war. Das Geschäft im Internet boomte, ein Online-Shop nach dem nächsten machte auf. Diese konnten dank geringerer Fixkosten mit deutlich günstigeren Preisen locken, so dass Verbraucher vor eine Wahl gestellt wurden, die vielen von ihnen mit Blick auf die Geldbörse sehr einfach fiel, selbst wenn mancher ein ungutes Gefühl dabei behielt.

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