Читать книгу "... es ist ein zu starker Contrast mit meinem Inneren!". Clara Schumann, Johannes Brahms und das moderne Musikleben онлайн

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Der junge Brahms musste zwischen den beiden Polen erst noch seinen Weg suchen. Sollte er als unabhängiges ›gottbegnadetes Genie‹ auftreten oder die Rolle des in der Tradition verwurzelten ›Meisters‹ geben? Konnte man als reisender Virtuose sein Auskommen finden, oder war es nicht doch sicherer, wie Joachim eine feste Anstellung anzustreben? Steht Unterhaltungsmusik im Widerspruch zu tragisch-dramatischen Kompositionen? Wo durfte man sich positionieren zwischen Äußerlichkeiten und unergründlicher Tiefe, zwischen Selbstdarstellung und einem von Herzen empfundenen expressiven Ausdruck? Johannes Brahms sollte bald herausfinden, wie er Joachim und Liszt einzuordnen hatte.

Positionsbestimmungen

Mitte Juni 1853 zog Reményi mit Brahms im Schlepptau vom Königreich Hannover weiter zum Herzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach. Der Ungar versprach sich viel von einer Protektion durch seinen Landsmann Ferenc Liszt, ebenso wie der Weimarer Hof 1842 hohe Erwartungen mit dem Engagement eines der führenden Musiker Europas verband. Dass dieser sich überhaupt herabließ, sich an den spartanisch ausgestatteten Weimarer Hof zu begeben, hing zusammen mit der leidenschaftlichen Zuneigung zu einer Frau und der Passion für die Kultur. Im Februar 1847 hatte Liszt bei einem Gastspiel in Kiew die wohlhabende polnisch-russische Fürstin Carolyne zu Sayn-Wittgenstein kennengelernt. Beide fühlten sich miteinander geistesverwandt und Liszt betrachtete sich bald als »Seeleneigener« der Fürstin, wie er es in einer Analogiebildung zum ›Leibeigenen‹ in einem Brief formulierte.46 Der Musiker und die Adelige konnten stundenlang über Philosophie, Religion und Kunst debattieren, was dann auch ihr praktisches Engagement beförderte. Ihr dreistöckiges Domizil in der Jenaer Straße in Weimar war die sogenannte ›Altenburg‹ (nach dem einstigen Flurnamen »Die Alte Burg«), in der man ab 1848 für dreizehn Jahre residierte. Sie wurde zum Treffpunkt für Künstler und Intellektuelle. Die Atmosphäre beschrieb der Dichter Friedrich Hebbel als »traumhaft-phantastisch«, insbesondere wenn bei großen Abendgesellschaften Liszt am Klavier »Zigeuner-Rhapsodien« anstimmte, mit denen er selbst den Poeten »elektrisierte«. »Am Klavier ist er ein Heros«, erinnerte sich Hebbel bewundernd, »hinter ihm, in polnisch-russischer Nationaltracht mit Halbdiadem und goldenen Troddeln die junge Fürstin, die ihm die Blätter umschlug und ihm dabei zuweilen durch die langen, in der Hitze des Spiels wild flatternden Haare fuhr.«47 Die Welt, in die Brahms hier eintauchen sollte, bot einen beinahe surrealen Kontrast zum Umfeld der Schumanns, von dem er bei Joachim schon einen Vorgeschmack bekommen hatte. »Joachim ist einzig«, meinte der Leipziger Thomaskantor und Konservatoriumsmitbegründer Moritz Hauptmann einmal über den Geiger, denn »bei dem ist nicht die Technik und nicht der Ton und nichts von allem, was man sagen kann, sondern daß das alles zurücktritt, sich gar nicht bemerkbar macht, daß man eben nur die Musik hört.« Dabei machte sich Joseph Joachim die Kompositionen so zu eigen, dass er selbst komplexe Beethoven-Sonaten auswendig vortragen konnte, und zwar, wie Beobachter feststellten, »so geistreich in der Auffassung, mit einer Übereinstimmung und Vollendung der Auffassung, wie man sie nicht leicht finden wird«.48 Damit bildete er ein Pendant zu Clara Schumann, die in Konzerten ebenfalls ohne Noten antrat. Doch nicht nur das: »Sie übte meist ohne Noten«, erzählte ihre Tochter Eugenie, »und ich erinnere mich einzelner Gelegenheiten, wo sie mir, als ich während des Übens in ihr Zimmer kam, zurief, ich möge ihr das Stück, welches sie gerade spielte, heraussuchen, sie müsse etwas nachsehen.«49

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