Читать книгу "... es ist ein zu starker Contrast mit meinem Inneren!". Clara Schumann, Johannes Brahms und das moderne Musikleben онлайн

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Auch Joseph Joachim, am Beginn seiner Laufbahn noch Konzertmeister in Liszts Weimarer Orchester und mit dem Maestro per Du, spürte eine zunehmende Entfremdung und überwarf sich mit dem selbstverliebten Virtuosen. Joachim vermochte zwar der Musik von Berlioz und Wagner noch etwas abzugewinnen, allerdings brachte er den »sinfonischen Dichtungen« von Liszt eher Skepsis entgegen. Aufgrund seiner führenden Rolle im Orchester hatte Liszt Joachim aktuelle Kompositionen gezeigt und vorgespielt, um seine Meinung zu hören. »Trotz oftmaligen Hörens konnte er ihnen nicht nur keine Sympathien abgewinnen, sondern die Abneigung vor denselben steigerte sich im Laufe der Zeit bis zum Widerwillen«, schilderte der Joachim-Vertraute Andreas Moser die Einstellung seines Lehrmeisters. »Über Liszts musikalische Impotenz, die Armut seiner Erfindung und den gänzlichen Mangel an schöpferischer Kraft würde er schliesslich noch weggesehen haben, denn Gedankenreichtum, musikalische Erfindung und schöpferische Gestaltungskraft müssen angeboren sein; sie können durch Studium, Erziehung und Ausbildung nur weiter entwickelt, zu künstlerischer Reife gebracht werden. Dass aber das Nichtvorhandensein dieser notwendigen Eigenschaften durch den raffiniertesten Aufwand von blendenden Orchestereffekten verdeckt werden, eine unerhört prätenziöse mise en scene den Hörer anweisen sollte, innere Hohlheit und Gedankenlehre für höhere künstlerische Offenbarungen zu nehmen, das war es, was Joachim so heftig von den Lisztschen Kompositionen zurückstiess.«62 Man darf davon ausgehen, dass diese drastischen Ausdrücke auch bei den persönlichen Gesprächen über andere Musiker verwendet wurden. Joseph Joachim, Clara Schumann und Johannes Brahms waren im privaten Kreis in ihrer Wortwahl nie zimperlich. Die drei hatten es mit Musikerkreisen zu tun, die ihre Sache mit einem beinahe sektenhaften Eiferertum vorantrieben. Brahms’ Bezeichnung von Liszt »mit all seinen Aposteln (auch Reményi)«63 brachte die Sache auf den Punkt. Nach außen wahrte man zumeist eine Fassade des gesitteten Betragens, doch wie es im Inneren aussah, das offenbarte sich erst, wenn die angestauten Emotionen sich wie in den Klaviertrios von Johannes Brahms und Clara Schumann oder Joseph Joachims Konzertouvertüre zu Hamlet entluden. Als Brahms Joachim kennenlernte, feilte dieser gerade an der Fertigstellung dieses Werks, das die Schumanns durch ihren »tiefen Kompositionsernst« beeindruckte.64 Den Freunden dürfte in den kommenden Jahren sicherlich aufgefallen sein, dass Liszt mit zunehmender Entfremdung kompositorisch aufrüstete: Bei der Themenwahl konterte er fünf Jahre nach Robert Schumanns Uraufführung von Joachims Opus 4 in Düsseldorf mit seiner eigenen »Sinfonischen Dichtung« Hamlet und auch Brahms’ Œuvre sollte der Katholik Liszt nicht unwidersprochen hinnehmen. In einem Bericht über ein Konzerterlebnis in Berlin, den Joseph Joachim an Gisela von Arnim schickte, fand er deutliche Worte: »Noch neulich empfand ich in ganzer Stärke, was das heisst, als mir der Schmerz ward (ich besuchte das Liszt-Concert), einen Menschen, den ich oft Freund genannt hatte, dem ich kolossale Irrthümer gerne in Ehrfurcht vor seiner Kraft, vor seinem Genie verziehen hätte, in niedrigster Kriecherei vor dem Publikum, in ekler Heuchelei vor sich selbst zu erkennen. Pfui über den, der sich bessern will und’s nicht lassen kann, sein Stöhnen, sein kriechend Weh vor der Gottheit im Bewusstsein missbrauchter Gewalt wieder eitel zum Effekt auszufeilschen.«65 Liszt blieb stets gelassen und süffisant. »Na, lieber Freund, ich sehe schon, dass Ihnen meine Sachen keine Freude machen«, soll er bei einer Besprechung geäußert haben.66 Sein späterer Schwiegersohn Richard Wagner nahm es ihm ab, den Höflichen zu mimen und lästerte in der Neuen Zeitschrift für Musik über Joachim, »das Komponieren scheint ihn mehr verbittert, als Andere erfreut zu haben«.67

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