Читать книгу "... es ist ein zu starker Contrast mit meinem Inneren!". Clara Schumann, Johannes Brahms und das moderne Musikleben онлайн

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Das aufstrebende Bürgertum war indes besser als sein Ruf, selbst wenn das Bild bis zur Karikatur verzerrt wurde von seinen stets wechselnde Posen einnehmenden Verächtern, von den cholerisch Bourgeoisophoben wie Émile Zola bis hin zu seinen publizistisch einflussreichen Hassern wie Karl Marx. Die Länder Mitteleuropas hätten nie die medizinischen, juristischen, technischen und gesellschaftlichen Fortschritte gemacht, die das 19. Jahrhundert auszeichnen, ohne die Empathie, die Wissbegierde, den Einfallsreichtum und die Strebsamkeit des Bürgertums, die alle inspiriert wurden durch das Verständnis für kulturelle Werte. Das Publikum für die Kunst von Clara und Johannes rekrutierte sich vor allem aus der großen Gesellschaftsschicht des Bürgertums und der kleineren des Adels. Mit der Zeit wurde beiden klar, dass ihre moderate Haltung im kulturaffinen Bürgertum verbreitet war. So umschrieb der Historiker Jacob Burckhardt in einem Brief an die Salonnière und Komponistin Johanna Kinkel treffend die Einstellung vieler Gipfelstürmer: »… alles will Neu sein, aber auch nichts weiter.«97 Für eine nachhaltige Vermittlung von Kunst muss man nicht die Brechstange ansetzen, sondern situationsgerecht mit feinerem Besteck zu Werke gehen. Die Aufmerksamkeit des Publikums ist allemal gegeben: Wenn Beobachter den Eindruck hatten, man lausche der Musik »wie die Gemeinde in einer Kirche«,98 so hing dies nicht mit dem kunstreligiösen Anspruch von Liszt und Wagner zusammen, sondern mit einem von der Philosophie inspirierten bürgerlichen Ethos. Senecas Leitlinie »Res severa est verum gaudium« (Eine mit Ernst betriebene Sache gewährt wahre Freude) war seit 1780 der Wahlspruch des Gewandhauses in Leipzig. Man konnte ihn am früheren Gebäude schon von außen unter dem Giebel lesen. In dem Gewandhaus, das Clara und Johannes erlebten, war er im Saal in den höchsten Fries der gerundeten Schmalseite über dem Orchester eingebracht.

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