Читать книгу "... es ist ein zu starker Contrast mit meinem Inneren!". Clara Schumann, Johannes Brahms und das moderne Musikleben онлайн

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Thomas Mann, zwanzig Jahre lang ein Zeitgenosse von Clara und Johannes, brachte die Situation des Künstlers in der Sphäre der aufstrebenden Bürgerschichten auf den Punkt. Das Dilemma des Verhältnisses von Künstler und Bürgertum bündelte er in seinem Roman Tonio Kröger in die Klage: »Ich stehe zwischen zwei Welten, bin in keiner daheim.«99 Diese Diskrepanz dürften beide gespürt haben. Sie erlebten, wie die einen das Bürgertum bloßstellen wollten und der Kreis um Robert Schumann es vor allem im Lied und in der Kammermusik mit seiner psychischen Befindlichkeit konfrontierte. Die Poesie, die man dafür auswählte, dürfte nicht nur Clara tief berührt haben. Für Thomas Mann gehörten Lieder wie Brahms’ »Die Mainacht« sowie Schumanns »Mondnacht« und »Zwielicht« als »Seelenwunder und Kleinod« sowie »Perle der Perlen« zum Schönsten überhaupt.100

Die vierwöchige Tour entlang des Rheins bot Johannes viel Zeit zum Nachdenken. Dabei kam er auch durch Orte, in denen Clara bereits Konzerte gegeben hatte. In 10- bis 20-Kilometer-Etappen durchstreifte er von Mainz aus Naturschönheiten und Stätten der Historie. Der kommende Arrangeur von Volksliedern und Kenner der Dichtkunst erlebte bei seinen Wanderungen die deutschsprachigen Landstriche wie kaum ein anderer Komponist seiner Zeit. Tagesetappen führten ihn über Biebrich, Schierstein, Eltville, Erbach, Oestrich, Mittelheim, Winkel und Johannisberg nach Geisenheim, wo er übernachtete. Dieser kleine Ort wurde 772 erstmals urkundlich erwähnt und steht mit Karl dem Großen und Hartmann von Aues mittelalterlicher Dichtung Der arme Heinrich in Verbindung, die im 19. Jahrhundert neue Aufmerksamkeit fand. Jahre später zog Johannes Brahms das erst 1883 eingeweihte Niederwalddenkmal erneut in die Region. Vorerst setzte er in Rüdesheim mit der Fähre über nach Bingen, mit dem der Name der Äbtissin Hildegard von Bingen verknüpft ist, und bewunderte die Burg Rheinstein, bevor er sich in Trechtingshausen ein Quartier suchte. Historisches, Mythologie, Literarisches, Flusstäler mit Burgen, Auen, Felder, Wälder, Ruinen, Schlösser, Vergangenes und Gegenwärtiges fand Johannes allenthalben auf seiner Wegstrecke. Die Themen seiner zahlreichen Chorstücke, 20 Duette, 60 Quartette und 195 Sololieder, die in 32 Liedersammlungen erschienen, bieten ein Abbild der Erfahrungen und Gedanken seiner zahllosen Wanderungen durch einige der schönsten Regionen Europas. Dass er in Karl Simrocks Gedicht »Auf dem See«, dem zweiten Lied seines Opus 59, die Zeilen »Also spiegle du in Liedern / Was die Erde Schönstes hat« vertonte, erscheint geradezu programmatisch. Hermann Allmers’ »Feldeinsamkeit« (op. 86, Nr. 2) mit der »wundersam umwobenen« Himmelsbläue wird zu einer Reflexion über die Ewigkeit und Clemens Brentanos »O kühler Wald« (op. 72, Nr. 3) zum Nachsinnen über seelische Schmerzen.

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