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Wenden wir uns nun nach diesem kurzen Überblick des innern Lebens jener Zeit, die, wie wir gesehen, poetische Elemente genug aufzuweisen hat, zu ihrer Poesie selbst, so müssen wir uns abermals lediglich auf das Zeugnis der Römer verlassen. Diese römischen Nachrichten aber sind verworren, lückenhaft und durchaus unzureichend. Wir haben schon oben gelegentlich Julians verwerfendes Urteil über den deutschen Kriegsgesang vernommen; andere urteilen nicht günstiger und klagen besonders über die vermeintliche Härte und Ungeschlachtheit der germanischen Sprache. Nur Tacitus, dessen Tiefsinn und unbeugsame Wahrheitsliebe freilich alle andern überwiegt, spricht auch hier mit besonnener Anerkennung des deutschen Wesens. Er gedenkt ihrer begeisternden Schlachtgesänge, Götter- und Heldenlieder und rügt die vornehme Beschränktheit der Griechen, die nur das Ihrige kannten und schätzten und der Lieder von Hermanns Heldentaten nicht achteten, die noch damals durch alle deutschen Gauen erklungen.

Diese Rüge aber und der scheinbare Widerspruch jener alten Nachrichten erklärt sich einfach daraus, daß die Griechen und Römer dazumal nur eine bereits überfeinerte Kunstdichtung, die Deutschen nur eine Volkspoesie besaßen, welche zu allen Zeiten einander unverständlich und daher auch stets gegeneinander ungerecht sind. Eine eigentliche Volkspoesie in so umfassendem Sinne haben überhaupt die andern alten Völker niemals gehabt. Bei den Griechen durchzogen besondere, mehr oder minder geschulte Sänger das Land, und in ihrem Homer sind die alten Volkssagen bereits in eine sehr fühlbare Kunstdichtung verschmolzen, gleichwie auch unsere vaterländischen Sagen später in unserem Nibelungenepos zusammengefaßt und zu ihrer jetzigen Gestalt verarbeitet wurden, als die Heldenlieder, die es enthält, nicht mehr lebendig von Mund zu Munde gingen. Bei den ältesten Römern dagegen gehörte die Poesie ganz und gar dem Gottesdienste an, und Vates war mit Dichter, Priester oder Seher, Carmen für Dichtung und jederlei gottesdienstliche Formel gleichbedeutend. Ebenso befand sich bei den Kelten, deren Gebräuche und Einrichtungen bisher mißverständlich den germanischen Völkern angefabelt worden, die Poesie ausschließlich in den Händen einer besonderen Künstlerklasse, der Barden, die nur das poetische Organ ihres Druidenordens war. Die Deutschen aber hatten weder Druiden noch Barden, d.h. weder eine erbliche Priesterkaste noch eine von den Priestern abhängige Dichterzunft. Ihre Dichterschule war das Leben und ihre Poesie die Freude und Seele dieses Lebens. Die Helden waren selbst die Dichter, sie taten, wie sie sangen, und sangen, was sie taten, allen gleich verständlich, weil in allen wesentlichen Lebensansichten noch ein gemeinsamer Geist die ganze Nation verband, die nicht in Herren und Sklaven, wie bei andern gleichzeitigen Völkern, und noch nicht wie bei uns in Gebildete und Pöbel zerfallen war. Daher sehen wir hier Fürsten und Mannen an der fröhlichen Sangeskunst gleichmäßig teilnehmen; der Held Horant betritt singend die Hallen der soeben von ihm eroberten Burg, Regner Lodbrog haucht im Gesange sein Leben aus, selbst der schon christliche König Alfred geht als Sänger verkleidet in das feindliche Dänenlager, und der Spielmann Volker im Nibelungenliede schwingt mit gleicher Gewalt den Fidelbogen wie das Schwert. Daher kreiste an den Königshöfen und in ihren Volksversammlungen die Harfe von Hand zu Hand, während die Zuhörer in den Gesang mit einstimmten, gleichsam wie der Chor der alten Tragödie in die besungene Handlung lebendig hineinrankend. Es war der Hauch nationaler Heldenerinnerungen, der durch die Wipfel dieses uralten Dichterwaldes in wunderbaren Liedern ging, von deren mächtigem Einfluß auf das ganze Leben die Römer voll Erstaunen erzählen.

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