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Wollen wir uns aber das eigentliche Grundwesen dieser Volkspoesie klarmachen, so müssen wir auch hier auf die religiösen Quellen zurückgehen, die ihr ihre Eigentümlichkeit gegeben. Die Religion der alten Germanen war allerdings, wie die aller Urvölker, ein Naturglaube; sie verehrten die Sonne, das Feuer und Wasser. Was uns aber dabei zunächst auffällt, ist die Einfachheit ihres Gottesdienstes, der weder Götzenbilder, noch irgend weitläufige Zeremonien kannte; ihr Tempel war der Wald mit seinen grünen Bogen und schlanken Säulenhallen. Vor allem aber ist es das Übersinnliche dieser Götterlehre, die sie von den andern Religionen des Altertums unterscheidet. Die Römer, und noch mehr die Griechen, zogen ihre Götter zur Erde in den Kreis der menschlichen Leidenschaften herab. Ihr Olymp, wenn wir durch den überreichen Fabelschmuck auf den eigentlichen Kern sehen und diesen als die sittliche Grundlage des Volksglaubens nehmen müssen, erscheint doch nur als ein fast kindischer Religionsversuch; ein lustiges Herrenhaus genialer Dynasten, die, weil sie sich selbst durchaus nicht zu regieren wissen, ein gar wunderliches Weltregiment führen. Wie unendlich größer, tiefer und wahrer als dieser Zeus oder Jupiter, der mit sultanischer Laune heut die Europa entführt und morgen wegen derselben Galanterie den Paris andonnert, ist die altgermanische Idee der ewigen Gerechtigkeit, des »Allvaters« Wodan, des höchsten Richters und Rächers des Unrechts. Weder König noch Volk hatten das Recht des Blutbanns, die seltenen Todesurteile wurden nur in Wodans Namen gesprochen und verkündigt. Und mit dieser Vorstellung hing wesentlich auch ihr fester Unsterblichkeitsglaube zusammen. Das Jenseits der Griechen war nur ein ungewisses nebelhaftes Schattenspiel des irdischen Daseins, die Walhalla der Germanen dagegen eine freudige Zuversicht, die in Schlacht oder Gefangenschaft heldenmütige Todesverachtung erzeugte.

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