Читать книгу Kulturtheorie. Einführung in Schlüsseltexte der Kulturwissenschaften онлайн

193 страница из 233

1 Mit diesem Vorbehalt sich selbst gegenüber und mit der Intellektualität unmittelbar verbunden ist jenes Phänomen, das SimmelSimmel, Georg als „eigentümliche Abflachung des Gefühlslebens“ bezeichnet. Die Dämpfung des emotionalen LebensLeben, Lebens-, -leben ist eine direkte Folge jener Distanz, die durch das Dazwischentreten des GeldesGeld im zwischenmenschlichen Umgang eingeübt wird. Im strategischen Handeln ist es nicht klug, Gefühle zu zeigen. Noch zu Ende des 18. Jahrhunderts etwa war es in Deutschland üblich, Gefühle in der Öffentlichkeit zu zeigen. So wurde es in der Epoche der Empfindsamkeit zum kulturellen Gebot, im Theater öffentlich zu weinen. Ein Begriff wie Herzensbildung erscheint uns heute unerträglich pathetisch. Die Abneigung gegen Sentimentalität und Pathos, die Aufladung des eigenen Selbst im und durch das Gefühl zeigt sich bis vor kurzem auch in der programmatischen Unterkühltheit (coolness) der Jugendkulturen; die spezifische Verwendung des amerikanischen Englischen leistet dabei einen entscheidenden symbolischen Beitrag. Die kulturell eingeübte Kühle in den westlichen Kulturen Nordamerikas und Westeuropas, die von Angehörigen anderer Kulturen nicht selten als unerträgliche Kälte beschrieben wird, hat natürlich auch ihre Kehrseite. Die Berufsgruppe, die uns beibringen möchte, zu unseren Gefühlen zu stehen, Gefühl zu zeigen, unsere Emotionen neu zu entdecken, der Bereich der Psychotherapie im weitesten Sinn, wächst mit dem kulturellen Imperativ, als Agent der Geldkultur kühlen Kopf zu bewahren. In gewisser Weise lässt sich mutmaßen, dass die von SimmelSimmel, Georg beschriebene Tendenz der Emotionsverringerung auch kontrafaktisch ist.

Правообладателям