Читать книгу Kulturtheorie. Einführung in Schlüsseltexte der Kulturwissenschaften онлайн

194 страница из 233

2 Wo es nicht um oder an das persönlich Eingemachte geht, wo die eigene Überzeugung wenig, aber die Einigkeit über bestimmte rationale Prozeduren viel zählt, da stellt sich jenes Phänomen ein, das SimmelSimmel, Georg als „Leichtigkeit intellektueller Verständigung“ beschreibt. Man kann sich einigen, weil für alle Beteiligten nicht allzu viel auf dem Spiel steht, außer der eigenen Selbstbehauptung. Es geht nicht – um einen alten Pop-Song zu zitieren – um All or Nothing. Kein Zufall, dass in dieser Kultur eine Berufsgruppe auf dem internationalen Parkett zunehmend an Bedeutung gewinnt: die Diplomatie. Sie ist die hohe SchuleSchule des Kompromisses, der Gewandtheit und der Mediation, die mittlerweile Teil unseres gesellschaftlichenGesellschaft, gesellschaftlich AlltagsAlltag, Alltagskultur, Alltags- geworden ist, und zwar auf allen Ebenen unserer Kultur: privat wie öffentlich. Um in diesem Spiel zu bestehen, bedarf es eben eines gewissen Maßes an Charakterlosigkeit, eines Mangels an eigenen inneren Überzeugungen. Denn solange sich die eigene IdentitätIdentität aus solchen inneren ‚tiefen‘ Überzeugungen und Gefühlen bestimmt und speist, so lange wird jeder Kompromiss zwangsläufig zu einem Verrat an sich selbst. Als 1989 die Grenzen zwischen Ost- und Westeuropa fielen, konnte man die von SimmelSimmel, Georg beschriebene kulturelle DifferenzDifferenz sehr gut wahrnehmen, hier die gewandten, emotional ‚abgeflachten‘ Westeuropäer, dort jene Menschen, die über Standpunkte, Emotionen, Ecken und Charakter verfügten und diese auch in ihrem Handeln ins Spiel brachten, übrigens mit nicht selten bedenklichen Folgen. Der Überzeugungstäter ist die Gegenposition zum überzeugungslosen Diplomaten, so wie sich Helden und Händler – die beiden Gegenpole bei Werner SombartSombart, Werner – ausschließen.18

Правообладателям