Читать книгу Kindheit in der Schweiz. Erinnerungen онлайн

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Und plötzlich sah ich es. Dieses Aushängeschild hatte ich selber gemacht.

Schlagartig kam mir alles in den Sinn.

Ich begriff, weshalb mein Gedächtnis mich im Stich gelassen hatte: um mich zu schützen. Denn augenblicklich stieg in mir eine Mischung aus Leiden und Widersprüchen auf, die mir in der damaligen Zeit sicher schwer zu schaffen gemacht hatte.

Ich erlebte wieder die Hoffnung, Weihnachten würde die täglichen Widrigkeiten meines neuen Lebens zum Verschwinden bringen – als wundersames Geschenk des Himmels. Und gleichzeitig die verzweifelte Gewissheit, dass mein Elend kein Ende nehmen würde.

Ich war kaum einen Monat in der Schweiz. Die französische Sprache kam mir nur stockend und zaghaft über die Lippen. Ich war noch nicht schweizerisch gekleidet, und im kriegsverschonten Lausanne musste meine Ärmlichkeit auffallen. Ich trug einen Mantel, an dem ich ganz besonders hing, weil er meinem Vater gehört hatte. Vor zwei Jahren hatte man ihn für mich verkürzt und zurechtgemacht. Nun war er zu kurz, die Ärmel bedeckten meine Handgelenke nicht mehr. Aber es war Vaters Mantel, und ich legte keinen besonderen Wert darauf, ihn gegen einen anderen zu tauschen. Ich sehe ihn noch, blau mit einem Graustich, dunkler Samtkragen. Getragen vom kleinen Mädchen, das ich damals war, waren die Nähte geplatzt, der Stoff zerrissen und voller Flecken. Trotzdem trug ich ihn während dieses ganzen ersten Winters in Lausanne, weil ich daran hing – und auch, weil mir nie ein anderer angeboten wurde.

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