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Corinna Bille
«Corinna Bille entstammte einer der großartigsten europäischen Landschaften, dem Wallis, und obwohl sie leidenschaftlich gern reiste, blieb das Wallis ihr Lebensmittelpunkt, aus dem sie den ungeheuren Reichtum an Stoffen, Farben, Mythen und Menschen bezog, den ihr Schreiben auszeichnet. Corinna Bille war auch deshalb die Tochter dieses Landes, weil sie nicht nur stolz, stark, sehnsüchtig, träumerisch, innig und leidensfähig war, sondern eine Unbezähmbare.» Peter Hamm, Die Zeit
S. Corinna Bille
Ländlicher Schmerz
Erzählungen
Mit einem Nachwort von Anne Cuneo
Aus dem Französischen von Elisabeth Dütsch
Limmat Verlag
Zürich
Für meinen Vater
LÄNDLICHER SCHMERZ
Dennoch tötet jeder, was er liebt, und
alle sollen es wissen: Die einen tun es
mit einem hasserfüllten Blick, andere mit
zärtlichen Worten, der Feige mit einem
Kuss, der Tapfere mit einem Schwert!
Oscar Wilde
Die Heilige
Ihre Augen waren kalt wie das Wasser und wechselten die Farbe wie das Wasser – je nach dem Grund, je nach dem Himmel … Sie hatte viel zu langes rotes Haar: Bis auf die Füsse fiel es ihr hinunter. Jeden Tag brauchte sie eine Stunde, um ihre Zöpfe zu flechten, aber sie weigerte sich, sie kürzer zu schneiden. Ihr Haarknoten sah nicht aus wie der von anderen Frauen; er war so gross und schwer, dass er den ganzen Nacken und den Ansatz der Schultern bedeckte. Sie hatte eine gerade Nase, reine Züge und eine so weisse Haut, dass sich jedermann darüber wunderte. Aber wer ihre schmalen, immer geschlossenen Lippen sah, bekam es mit der Angst zu tun.