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An der Kirchweih im April erkühnte sich Germain, Flavie um eine Polka zu bitten. An den Sonntagen und Festen war sie noch unnahbarer als gewöhnlich. An solchen Tagen schienen alle Frauen des Dorfes grösser als sonst. Das machten ihre bebänderten Hüte aus – jeder ein kostbarer Turm –, die ihnen die Würde von Statuen verliehen.

Als die Dorfleute Germain auf Flavie zugehen sahen, waren sie höchst überrascht und gespannt; sogar die Musik fiel aus dem Takt. Die einen lachten: «Die bekommt er nicht.» Die andern bewunderten ihn: «Der hat wenigstens keine Angst vor ihr!» Justines Gesicht verdüsterte sich, denn ­Justine liebte Germain. Und als er mit Flavie zurückkam, staunten sie alle. Das Paar erklomm den Tanzboden. Die Musikanten hielten einen Augenblick inne, dann legten sie los. Flavie, die sonst nie tanzte, war in Germains Armen geschmeidiger als ein Lärchenzweig.

– Irrwisch, sagte einer laut.

Und die andern wiederholten: «Irrwisch!»

Zuerst war Germain ganz benommen, seine Augen wurden blind und seine Ohren taub … Er begriff nicht, wie er das hatte wagen können. Aber jetzt, da er sie festhielt, seine Liebste, stieg die Freude wieder in ihm auf und auch der Mut. Er fing an, sie beim Tanzen zu betrachten. Seine ausgehungerten Augen nahmen von ihr auf, so viel sie konnten. Noch nie hatte er sie so nahe gesehen. Er entdeckte mancherlei: auf ihren Wangen ein paar Sommersprossen, wie die ersten Sterne an einem noch hellen Himmel, in der Un­terlippe einen kleinen Riss und im Kinn ein leichtes Grübchen. Und er sah, dass ihre Wimpern weder rot noch blond waren, sondern wie die winzigen Goldkörnchen, die manchmal im Rhonesand aufblitzen. Das gab ihrem Gesicht einen übernatürlichen Ausdruck. Den eines Engels oder den eines Dämons? Germain fragte sich das nicht.

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