Читать книгу Giacometti hinkt. Fünf Wegstrecken, drei Zwischenhalte. Erzählungen онлайн

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Gelegentlich hält man auch hier so etwas wie einen Flohmarkt ab, die nächste Gelegenheit, die Helen abwartet. An diesem Samstag geht sie stracks zum ersten Stand, in jeder Hand einen Militärschuh. Die Eritreerinnen haben sich bereits eingefunden, die farbenprächtige Schar macht sich ans Prüfen der handfesten Artikel: solide Topflappen, gleissende Toaster, polierte Stabmixer und Ständerlampen aus den Fünfzigerjahren. Und siehe da, sogar ein intakter Felltornister hängt an einem Garderobenständer. Das passende Umfeld für Armeetaugliches, also stellt sie ihre Last zu Füssen des Hausrats, steckt einen Zettel mit der Aufforderung «Zum Mitnehmen» hinein. Dann macht sie sich dünn, denn sie fürchtet, eine Bekannte zu treffen, die zu laut «Hello, long not seen» rufen könnte, und sie wäre er­tappt, beim illegalen Deponieren, das kann sie sich nicht leisten als Abgeordnete der Grünen. Also nichts wie weg.

Dann fällt ihr Blick auf den dunkelhäutigen Jungen, der dicht bei den Eritreerinnen steht und sich hinter der Grossgewachsenen unter ihnen duckt. Helen bleibt stehen und betrachtet ihn aus Distanz von der Weinlaube des nahen Restaurants. Ein Mischling, oje, verpöntes Wort, doch ihn ein afrikanisches Halbblut zu nennen, geht noch weniger. Seine Züge sind edel wie jene der Niloten, der Nilquellenanwohner, und sein sinnlicher Mund schürzt sich, als wolle er die versammelten Habseligkeiten küssen, die vor ihm ausgebreitet sind. Ein Junge im vorgerückten Schulalter, er dürfte elf oder zwölf Jahre alt sein, schwer zu schätzen bei einem Afrikanerkind, das in der Linie der Königin von Saba erschaffen scheint, sodass man ihn gern und gut zum Coverboy für Sammelaktionen küren könnte. Er ist heller als die anwesenden Eritreerinnen, hat aber pechschwarzes Haar. Schön wie der Morgentau ist der junge Fant, dessen mutmasslich weisser Vater sich wahrscheinlich aus dem Staub gemacht hat. Ach was, Helen, hör auf zu spintisieren. Sieh zu, dass der Pinkel deine Schuhe nimmt. Jetzt taucht er aus dem Schatten der Mutter, dieser hochgewachsenen Frau, einer Herrin ähnlich. Er steckt in einer modisch sportlichen Aufmachung, ein atmungsaktiver grellfarbiger Trainer schlottert um seinen schmalen Körper, wahrscheinlich eine mildtätige Spende der Caritas. Nun entdeckt er die Militärschuhe, kratzt sich den runden Schädel unterm Kraushaar, nimmt das linke Exemplar in die Hand, begutachtet es intensiv, während er den Zettel in die Tasche seines Trainers steckt.

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