Читать книгу Giacometti hinkt. Fünf Wegstrecken, drei Zwischenhalte. Erzählungen онлайн

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Für Anne hatte Helen beinahe schwesterliche Gefühle empfunden, und sie machte sich Gedanken darüber, was denn dieses Bergen-Belsen bedeutete, ein Ortsname, der ihrer wiederholten Lektüre des Tagebuchs ein abruptes Ende setzte. Das Fotoalbum mit dem Trümmerhaufen und den Häftlingen, die Kohle schaufelten, war wohl etwas ganz anderes, das nichts zu schaffen hatte mit dem lebendigen Alltag der Familie Frank im Versteck des holländischen Hinterhauses.

Oder doch? Die Mutter hätte sie gewiss fragen können, doch seltsamerweise hatte sich Helens Unerschrockenheit inzwischen aus dem Staub gemacht. Verzogen, verabschie­det, auf einmal war es peinlich, eine Sache anzugehen, von der man Ungeheures witterte. Sie war inzwischen zwölf geworden und genierte sich für die Damenbinden, die sie auf Geheiss der Mutter tragen sollte, weil das Blut den Oberschenkeln entlang rann, anlässlich der ersten Mens. Gleichzeitig fühlte sie etwas wie Stolz, dass sie nun eine Frau war, das hatte Mutter jedenfalls beteuert. Mit der Pubertät war die Scham eingekehrt, und wie man weiss, Scham macht verschwiegen. Vielleicht auch duckmäuserisch oder gar verlogen. Dachte sie jetzt.

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