Читать книгу Giacometti hinkt. Fünf Wegstrecken, drei Zwischenhalte. Erzählungen онлайн

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Das Brockenhaus nahm die Schuhe nicht. Damit könnten wir Säle füllen, wissen Sie. Also wieder eingepackt, ins Velokörbchen und erneut ins Schuhgestell. Sie hatte Uwe nicht nach der Herkunft gefragt. Sie scheute eine Auseinandersetzung über die Verantwortung deutscher Nachgeborener. Sie war nicht befugt, über ein Thema zu reden, gar zu urteilen, das in keinster Weise auf dem Stück Folk­lore beruhte, die der Aktivdienst für helvetische Kriegskinder gewesen war. Schweizer Militärschuhe stammten aus einer Vergangenheit, die sich nur schleppend daran machte, in Geschichtsschreibung umgewandelt zu werden. Eine heftige Aufgabe, die Rolle dieser fragwürdigen Friedensinsel im Zweiten Weltkrieg aufzuarbeiten! Die mutigen unter den Journalisten und Historikern wurden mundtot gemacht, man verweigerte ihnen den Zugang zu den Dokumenten im Bundesarchiv, sie wurden der Kollaboration mit dem Bolschewismus verdächtigt, als Stalinisten verschrien, das war zur Zeit des Kalten Kriegs das übelste Vorurteil, das einer engagierten Nachwelt, die es genauer wissen wollte, entgegengebracht wurde. Der Bergier-Bericht, von der Linken und der Gewerkschaftsbe­wegung begrüsst, bald an höherer Warte schubladisiert, das heisst kaltgestellt. Die Analyse und Beurteilung der Verantwortung der Schweizer Behörden, die sich der Ju­denvernichtung mitschuldig gemacht hatten, wurde auf die lange Bank geschoben, Experten, die das Thema un­verblümt anpackten, als Nestbeschmutzer denunziert. Jean-François Bergier, Zeithistoriker von Rang, Professor mit ausserordentlichen Meriten, der zum Leiter des Forschungsteams berufen worden war, starb wenige Jahre nach der Veröffentlichung des umfassenden und infolgedessen wenig schmeichelhaften Befundes, wohl auch aus Gram, dass die immense Arbeit ohne jede politische Konsequenz bleiben würde.

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