Читать книгу Giacometti hinkt. Fünf Wegstrecken, drei Zwischenhalte. Erzählungen онлайн

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Die Antwort auf das Warum hat sie bis dato nicht erhalten, diese Helen Grossniklaus, Nationalrätin der Grünen, und die Schuhe motten im Schuhgestell vor sich hin. Dann hat sie die plötzliche Eingebung, die Schuhe würden auf dem Flohmarkt in die Allgemeinheit eingehen. Also trägt sie ihre Bürde in einer Fair-Trade-Tasche auf den Max-Frisch-Platz hinter dem Bahnhof Oerlikon, wo einmal im Monat alles zu haben ist, niemand mehr haben will. Sie stellt die Schuhe diskret auf einen Gartentisch, der offenbar Hinz und Kunz zu Gebote steht. Allerlei Ge­rümpel, Blumenvasen, Nippes und Stofftiere haben darauf Platz gefunden. Keine Verkaufsperson ist in Sicht, und so pirscht Helen durch medias res und stellt dabei fest, dass sie mit ihrer Definition des Flohmarkts falschliegt. Ein Flohmarkt ist vielmehr ein Sammelsurium von Vergeblichkeit, die für nützlich gehalten wird. Sie fühlt sich wie eine Strauchdiebin, als sie den Rundgang durch die Hügellandschaft von Häkeltäschchen, Pulswärmern, Hausschuhen und Wollsocken antritt, vorbei an Arsenalen von Kerzenständern, Serviettenhaltern und Kleiderbügeln, alle mit naturgefärbten Überzügen bedacht. Sie inspiziert das Eingemachte, Eingetopfte und Selbst­geknüpfte, benimmt sich wie eine Gutachterin angesichts der Flut von emsiger Eigenkreation, die offenbar nur sie für eine Verzweiflungstat hält. Die Leute hinterm Bahnhof Oerlikon greifen zu, wägen ab, vergleichen Jacke mit Hose, Rüben mit Kraut. Man schwelgt hier im Sog der in schöpferischer Hingabe gestrickten, umhäkelten, durchgefilzten, eingenähten Quasigebrauchsgegenstände, die der Selbstvergewisserung dienen. Nun denn, inmitten all des Feingesponnenen, Feinziselierten und Feingeknüpften benehmen sich Militärschuhe ziemlich drastisch. Wirken wie ein Angriff auf den häuslichen Goodwill, so­dass Helen sich weiter umsieht, nach einem geeigneten Platz des von ihr geschmähten Corpus Delicti aus dem letzten Jahrhundert.

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