Читать книгу Schattenblüten. Erzählungen онлайн
32 страница из 33
Auch am letzten Sonntag, als ihr Vater sie an einem Tisch im Wirtshaus hinter der grünen Gazosaflasche betrachtete, hatte sie unter ihrem Chicco-dʼOro-Hütchen gelacht. Dann war sie nachdenklich geworden, hatte gesagt:
«Da, jetzt. Wir sind schon einmal so dagesessen. Die Dinge wiederholen sich.»
Der Vater legt sich neben der Scheune ins Gras und betrachtet die Halme, die sich am Spätnachmittag näher herunterbeugen. Er erinnert sich an einen Spaziergang, den er vor vielen Jahren auf diesem Weg gemacht hat. Er war mit Silvana und Renzo beim Beerensammeln. Die gleichen Beeren, die seine Tochter jetzt verwendet, um Halsketten zu machen.
«Was mag aus Silvana geworden sein?», denkt der Vater, im Gras ausgestreckt. Er war mit ihr in den alten, stillgelegten kleinen Bahnhof am Rand der Felder gegangen wie in einem amerikanischen Film; sie aber wollte lieber Beeren pflücken.
Und Renzo? Eine Medaille, mit grau gewordenem Gesicht und leicht verwegener Baskenmütze. Er sieht ihn weit weg und klein, im Spiegel der Bar, wo er ihm das letzte Mal begegnet war: da ist sein Bild, hinter den Aperitif-Flaschen, mit einem beschlagenen Lächeln. Er sieht das Haus im Dorf wieder, wo Renzo sich in Gesellschaft einer Ziehharmonika niedergelassen und wo er ihm die Geschichte des Sakristans aus dem letzen Dorf oben im Tal erzählt hatte, einem, der Die Verlobten seitenweise auswendig konnte: er war fasziniert von Einzelgängern, der Renzo. Einmal hatte er ihm seine Aufzeichnungen gezeigt. Ein Satz fällt ihm ein: «Die Natur ist keine gute Mutter.» Wo hatte Renzo es hergenommen, dieses Zitat? Aus einem Kalender? Aus einem Buch? Oder stammte der Satz von ihm selbst? Dieser Junge verstand von allem ein bisschen was und lehnte Spezialisierung ab. Aber um zu leben, muss man sich spezialisieren. Das ist es, Renzo konnte mit seinem Leben nichts anfangen. Bei der Beerdigung hatte der Pfarrer gesagt, dass ihn die schlechte Gesellschaft ruiniert habe. Eine dumme Pfaffenpredigt. Warum hatte Renzo sich bloss umgebracht? Und warum hatten er und Silvana sich nicht geliebt?