Читать книгу Inspiration Schweiz. 70 Autoren, Künstler, Musiker, Schauspielerinnen an 70 Schauplätzen онлайн
28 страница из 76
Aber die «Rêveries» wollen nicht als Dokument, sondern als literarischer Text gelesen werden. Rousseau schildert sich als Traumwandler einer neuen Art, als ein Träumer mit gesteigert wachem Bewusstsein, der nichts weiter tut als Pflanzen sammeln oder auf der kleinen Nachbarinsel Hasen aussetzen, im Übrigen aber die Unschuld des Farniente geniesst: «Solange dieser Zustand dauert, sind wir uns selbst genug, wie Gott.»
Allerdings, die Gesellschaft, wie sie ist, macht die «süssen Ekstasen» des Wachträumens nicht erstrebenswert. «Vita activa», ein rastloses, auf Erwerb gerichtetes Leben, ist angesagt. Nur «ein Unglücklicher, der aus der menschlichen Gesellschaft ausgeschlossen ist», einer wie Rousseau also, mag in diesen Träumereien eine Entschädigung für entgangene Freuden finden.
Der Preis ist hoch. Das Exil muss zum Paradies (v)erklärt werden. «Die Verfolgung scheint einem geheimen Wunsch Rousseaus zu entsprechen. Sie enthebt ihn des Handelns und seiner Folgen», schreibt Jean Starobinski in seinem Rousseaubuch. So erbittet der Flüchtling folgerichtig von den Berner Herren lebenslängliche Einschliessung. «Ich wagte den Wunsch auszusprechen und vorzuschlagen», berichtet er in den «Confessions», «dass man mich eher zu ständiger Gefangenschaft verurteilen möge, als mich ständig auf der Erde herumirren zu lassen». Der Wunsch wurde abgelehnt, die Berner haben Rousseau am 25. Oktober 1765 vertrieben. Die St. Petersinsel aber blieb sein Traumgefängnis.