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Mein Vater, selber in Sent aufgewachsen, traute ihr auch nicht. Mutter fand das lächerlich, vor allem unmenschlich. Als sie eines Sonntags zum Gottesdienst ging, war die Kirche schon voll (das gab es damals noch), eine einzige Bank leer, und dort zuhinterst sass Veronica, allein. Es herrschte Stille, doch wie Mutter sich zu ihr setzte, ging durch den Raum ein Gemurmel. Jemand berührte von hinten ihre Schulter, flüsterte: «Hier wäre noch ein Platz frei.» Sie blieb sitzen, die Glocken verstummten, der Pfarrer erschien auf der Kanzel. Während der Predigt bemerkte sie immer wieder Leute, die sich nach ihr umwandten.

Ab und zu begegnete sie Veronica auf der Strasse, fand sie übrigens durchaus anständig, eine bleichgesichtige Frau mit dunklen Augen und einer sanften Stimme. Sie wirkte verunsichert, einmal sagte sie: «Ich weiss nicht, was die Leute gegen mich haben.» Es war schon viel, dass sie im Laden und beim Bäcker bedient wurde. Eines Tages sah sie Mutter mit ihrem Erstgeborenen, sie näherte sich, neigte sich über das Wägelchen, um das Kind zu sehen. Mutter nahm es her­aus und gab es ihr auf den Arm. Veronica war entzückt, drückte das Kind an sich, herzte es, gab ihm einen Kuss auf die Stirn. Drei Frauen, die am Brunnen wuschen, hatten zugeschaut. Eine von ihnen traf abends meinen Vater und erzählte es ihm, aus Pflichtgefühl. Zu Hause gab es eine Szene. Ich stelle mir vor, wie er mit seiner Frau schimpft: Bist du eigentlich wahnsinnig? Wie kannst du so etwas tun – unser Kleines einer solchen Person in die Hände zu geben? Sie lacht ihn aus, ist zugleich empört: Mein Gott, was für ein Volk seid ihr hier! Man muss sich geradezu schämen, in einem solchen Dorf zu leben. Das ist noch Mittelalter, grotesker Aberglaube, und du selber bist ebenso abergläubisch wie die andern! Vater antwortet, das habe mit Aberglauben rein nichts zu tun, er wisse genau, dass mit der Person etwas nicht stimme – je­denfalls, wenn es alle sagen, müsse etwas daran sein. – Und du wärst wohl dafür, dass man die Frau verbrennt ...?

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