Читать книгу Zorn und Freundschaft. Max Frisch 1911-1991 онлайн
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Hier wird in »leichtfertiger Deutschfeindlichkeit gemacht«
Ein früher Text, der diese Gesinnung bereits in manchen Zügen zum Ausdruck bringt, ist der Brief, den er am 26. August 1934 an Käte Rubensohn schrieb: »Bald beginnt unser Schauspielhaus, das wieder ganz gute Kräfte besitzt, während der Spielplan einiges zu wünschen übrig läßt; besonders was die Uraufführungen anbelangt, scheint mir eine große Gefahr darin zu liegen, wenn sich ein hiesiges Theater, indem es unsere schweizerische Weltoffenheit übertreibt oder einseitig mißbraucht, zum Ableger verbotener Autoren macht, zum Emigrantentheater. Du wirst mich verstehen: die Beweggründe sind zu geschäftlich, man will die Gelegenheit benützen, ehemalige Berliner Berühmtheiten, die sich ohne den Umsturz zeitlebens einen Teufel um unser Schweizerländchen gekümmert hätten, bei uns aufzutrumpfen, ja, gewisse Stars sind nun billig und sogar für Zürich erschwinglich geworden, und es ist nicht der große Gedanke an Weltliteratur im Goethischen Sinne und die ernste Auffassung, daß diesen Verbotenen, wo sie wirklich etwas bedeuten, geholfen werden muß und daß es die Pflicht der Neutralen ist, dies zu unternehmen, nein, diese Geschäftsmanöver sind so ohne alle Gesinnung, und das Unglückliche daran ist es, daß sie trotzdem auf die Gesinnung wirken, d.h. daß hier in jener leichtfertigen Deutschfeindlichkeit gemacht wird, bloß weil es rentabel ist. Vielleicht sehe ich nun etwas zu dunkel, aber es scheint mir bekämpfenswert, wenn sich die Schweizer als Steigbügel hergeben, und gleich sündhaft, ob sich gewisse Kreise als hitlerische Provinz dünken möchten oder ob andere Leute, indem sie sich gegen das Dritte Reich propagieren lassen, sich zu einer Provinz des weimarischen Deutschland machen lassen. Wir sind Schweizer und müssen es heute leidenschaftlicher sein als je; unsere geistige Freiheit, die wir hochhalten werden zwischen drei Diktaturen, erfordert die völlige Unbefangenheit, scheint mir, und dürfte nicht auf diese Art mißbraucht werden. Das ist es: wir haben weder für noch gegen Deutschland zu sein, und daß gerade dies der durchschnittliche Deutsche in seinem Wahn, daß Deutschland die Welt bedeute, niemals begreift, bringt uns den irrtümlichen Vorwurf einer Deutschfeindlichkeit. Wäre eine wahrhaftige Deutschfeindlichkeit in uns, so wären wir gerade dadurch nicht mehr frei und von Deutschland nicht mehr unabhängig, wie wir es um jeden Preis sein müssen und sein wollen.«