Читать книгу Zorn und Freundschaft. Max Frisch 1911-1991 онлайн

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Die Kritik an der Geschäftstüchtigkeit des damaligen Schauspieldirektors Ferdinand Rieser ist nicht aus der Luft gegriffen. Rieser war ein autoritärer Patriarch, geschäftstüchtig bis zur Gerissenheit, gefürchtet von seinen Angestellten wie von seinen Geschäftspartnern. Aber das war nur die eine Seite. Die andere war beachtlich. Nicht nur hatte er seit 1926 die Pfauenbühne mit Erfolg als Privattheater ohne städtische Subvention betrieben, sondern sie auch zu einer Bühne mit hohem künstlerischem und politischem Niveau aufgebaut. Gegen massive Widerstände aus Stadt- und Bundesregierung, von den Berufsverbänden und den Schriftstellervereinigungen engagierte er, und nicht erst sein berühmter Nachfolger Oskar Wälterlin, das legendäre Emigrantenensemble nach Zürich und rettete damit zahlreichen Spitzenkräften vermutlich auch das Leben.109

Interessant ist der Zusammenhang, in dem Frischs Brief steht. Wenige Monate zuvor hatten die Uraufführungen von Ferdinand Bruckners Die Rassen und von Friedrich Wolfs Professor Mamlock zu heftigen Krawallen der Frontisten gegen das Schauspielhaus geführt. Worauf Korrodi sich in der NZZ das »taktlose Hervortreten politischer Emigranten in unserem Land« energisch verbat – er meinte damit allerdings nicht die krawallierenden Frontisten, sondern die Theaterleute vom Schauspielhaus! Vom Theater verlangte er Kunst, das hieß für ihn Gesinnungsneutralität. Frischs Brief bläst in dasselbe Horn. Aufschlußreich ist auch Frischs politische Argumentation: Ob Weimarer Republik, ob Nazideutschland, ob Faschist oder Antifaschist, beides gilt ihm gleich, nämlich gleich falsch. Das einzig Richtige ist, proschweizerisch und weder für noch gegen Deutschland zu sein, auch wenn dieses Deutschland zum Terrorregime verkommen ist. Der echte Schweizer ist gesinnungsneutral. Genau diese Gesinnungsneutralität in den Medien hatten die Nazis seit ihrem Machtantritt von der Schweizer Regierung immer wieder gefordert. Aber der Bundesrat lehnte jede diesbezügliche Zensur mit dem Hinweis ab, die politische Neutralität der Schweiz beinhalte nicht die Eliminierung der Meinungsfreiheit. Indem Frisch sich in dieser Situation zum Anwalt der Gesinnungsneutralität machte, spielte er unfreiwillig den Nazis in die Hände.110

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