Читать книгу Die illegale Pfarrerin. Das Leben von Greti Caprez-Roffler 1906 - 1994 онлайн
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Als Greti später Gians Familiengeschichte erfuhr, meinte sie zu verstehen, wo seine Schüchternheit und Wohlanständigkeit, seine Selbstzweifel und Minderwertigkeitskomplexe herkamen. Schuld daran war in ihren Augen seine zu enge Mutterbindung. In Tat und Wahrheit, so war Greti überzeugt, schlummerte in ihm ein wildes Kind, das von seinen Eltern beschnitten worden war. Es wurde eingeschüchtert und eingeschlossen in die (…) Nützlichkeits- und Anstandsregeln, die da Convention heissen. (…) Da ging er lieber unten auf dem festen Erdboden, lieber – Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach, lieber Knecht in Wohlbehütetheit als eigener Herr in Gefahr. (…) Er lernte ein Mädchen kennen, dessen Liebe voller Widersprüche und Heftigkeit und heissem Sehnen war. All das Wilde, das an ihm abgetan worden und das er selber abgetan, fand er in ihm wieder. Sie war auch wirklich nicht lebenstüchtig, für das Leben, wie er es bis jetzt verstanden. Denn sie sah zu viel, sagte zu viel, schwieg zu wenig und versuchte immer wieder, sich durchzusetzen. (…) Vielleicht dass er sie (…) von ihrer Masslosigkeit und Rohsein erlösen konnte, in ihrer Demut des liebenden Weibes und süssen Beugens unter seinen Willen, unter das Feine und Zarte, das neben seinem Herrentum sein Wesen ausmacht. Feine und zarte, selbstsichere und selbstbewusste Eigenwilligkeit – dies ist er. Und in Liebe zu ihm verfeinerte, ausgeglichene Eigenwilligkeit – dies ist sie: beide in ihrem anzustrebenden Ziel.100