Читать книгу Die illegale Pfarrerin. Das Leben von Greti Caprez-Roffler 1906 - 1994 онлайн
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Den Kopf neigt Greti leicht zur Seite – wie um zu relativieren: Gar so aufmüpfig bin ich doch nicht, wie es der Bubikopf signalisiert. Die Gesichtszüge wirken gelöst, die Augen blitzen voller Schalk dem Gegenüber direkt ins Gesicht. Einen Tag zuvor, am 8. September 1929, haben Greti und Gian in Igis geheiratet, im Kreis der engsten Verwandten. Von diesem Tag gibt es ein unprätentiöses Foto einer Gruppe auf einer Wiese, die Braut in einem schwarzen Kleid zwischen ihren Schwestern, der Bräutigam am Rand. Der Anlass liesse sich nicht erkennen, stünde da nicht das Datum. Wichtiger scheint es Greti, den Haarschnitt am Tag danach zu dokumentieren, kurz vor der Abreise nach Brasilien. Ihre linke Hand drückt den Daumen. Seit langem hat sie sich danach gesehnt, mit dem Liebsten in die Welt hinauszuziehen. Nun ist es so weit.
Genese
einer Feministin
Wie hatten sich Greti und Gian nacheinander verzehrt, damals in den Jahren ihrer Studentenliebe in Zürich! Oft war es ihnen schwer gefallen, ihr Begehren zurückzuhalten. Dass sie stark bleiben und das Letzte – den Koitus – erst in der Ehe tun würden, war beiden klar. Als sie darüber sprachen, äusserte Gian seine Angst, sie könnten sich in einem innigen Moment vergessen. Greti teilte seine Sorge, konterte aber gleichzeitig: Für mich ist die Leidenschaft nicht etwas Schlechtes. Sie ist die Erlösung aus der Gefühlsarmut, der «Wohlanständigkeit» und kulturüberkleisterten Unechtheit. (…) Sie lässt uns die Welt in ihrer ganzen Farbigkeit und Schönheit empfinden und sehen.105 Freilich war es für Greti ebenso wichtig, im rechten Augenblick Nein sagen zu können.106