Читать книгу Die illegale Pfarrerin. Das Leben von Greti Caprez-Roffler 1906 - 1994 онлайн

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Ein Erlebnis mit dem Liebsten blieb Greti besonders im Gedächtnis.107 Es war das Jahr 1927, ein lauer Frühsommerabend, und Gian holte sie von einem Seminar an der Universität ab. Gemeinsam schritten sie in die sternenhelle Nacht hinaus, als er sie in seine Studentenbude einlud. Dort sassen sie eine Weile lang schweigend Schulter an Schulter nebeneinander. Die Leidenschaft kam über uns. Wir lagen Hand in Hand, Mund auf Mund in dem dämmerartigen, guten, ausgleichenden Dunkel. Was nun geschah, verschlüsselte Greti im Tagebuch mit griechischen Buchstaben. «Du wäre es so schrecklich, wenn wir uns einmal ganz nackt umarmen würden?» Er fragte es leise und zaghaft. Was mochte es gebraucht haben, bis er es überhaupt sagen konnte! Meine Antwort war ein banges Fragen: «Können wir dann noch stark bleiben?» (…) In plötzlichem Entschluss streifte ich mir das Gewand von der Schulter und barg in heisser Scham meine nackte Brust an der seinen – und dann lagen wir Mann und Weib. (…) Es war ganz anders als ich es je gedacht. Ein grosses, reines, ruhiges Stillsein erfüllte uns. Es war keuscher, als da wir uns je in Gewändern berührt. Selbst der Trieb schien ausgelöscht. Ein grosses Staunen über sein Gutsein über sein wundersames Stillesein erfüllte mich. Wenn ich mich auch einen Augenblick geschämt, so war das doch nur der Kampf ge­gen unsere Erziehung (…). Schämte ich mich denn vor meinen Schwestern, schämten wir uns denn vor einem Arzt, der uns doch ein ganz fremder Mensch? Hier aber war es das Wesen, das zu dem meinen gehörte, der Mensch, der meinem Sein, Sinnen und Fühlen am Engsten verbunden (…).108

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