Читать книгу Der Stammbaum. Chronik einer Tessiner Familie онлайн

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Wir gehen auf der Staumauer. Grauer Zement, aus dem da und dort Eisenstücke hervorragen. Sie bilden das Skelett dieses steinernen Organismus, der nicht tot und starr, sondern – wie mir Filippo erklärt – elastisch, vibrierend, kurz: lebendig ist. Es herrscht Weltuntergangsstimmung: ein rasend schnelles und doch ge­­re­­geltes, fast ruhiges Hin und Her, das seinen eigenen Zauber hat. Von der mächtigen Mauer gestaut, steigt das Wasser und verschlingt ganz langsam abschüssige Böschungen, Felder und Ställe, überschwemmt eine Welt undenklicher, namenloser Mühsal, um Energie, Wärme und Licht hervorzubringen. Ich betrachte mit verwirrten, fast bestürzten Blicken dieses riesige Un­ternehmen. Mein Sohn Filippo sitzt auf der Erde und prüft mit erfahrenem Geologenauge die «Karotten», die aus den Eingeweiden des Berges herausgezogenen Bohrkerne. Er prüft ihre Dichtigkeit, die Kohärenz, den möglichen Widerstand, den das Werk dem ungeheuren Druck entgegensetzt. Er gehört dieser Welt an, die auf ihre Art verzaubernd ist, dieser Welt, die ich mit Misstrauen betrachte, einem Misstrauen, das gleichsam von Entsetzen durchzogen ist. Es ist eine Welt, weit entfernt von meinen Interessen, meinem Verständnis. Die Raumforschung und die Eroberung des Mondes berühren mich nicht sehr stark. Dies sind Dinge, denen ich eine vielleicht verblüffte, doch kühle, abstrakte Bewunderung zolle. Mir scheint, ich lese in den Blicken der Techniker und Arbeiter die Antwort auf mein Misstrauen; sie sind kalt, vielleicht ein bisschen ironisch.

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