Читать книгу Der Stammbaum. Chronik einer Tessiner Familie онлайн
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Ich betrachte das gleichmütige Wasser, das immer höher steigt, die Wolken, die sich in den schmutzigen Fluten spiegeln, wie die fernen Häuser von Vogorno, jene Häuser, die stehenbleiben, und jene andern, die dazu verurteilt sind, zu verschwinden. Ein leiser Windhauch kräuselt die Oberfläche des Sees ein wenig und zersplittert die weissen Wolken, zerstreut sie wie auf einem impressionistischen Gemälde. Es heisst, es seien Millionen von Kubikmetern, ich weiss nicht, wie viele Millionen. Aber wenn ich mir überlege, dass ein Kubikmeter tausend Liter enthält und dass man mit einem Liter zehn redliche Gläser füllt – dann werden für mich, der ich nach Gläsern rechne, die Dinge verteufelt unverständlich, ich finde mich nicht mehr zurecht, ich fühle, wie mir schwindelt …
Auf der alten Strasse, die morgen unter Wasser liegt, spaziere ich allein nach Vogorno weiter. Es werden dort bald nur noch Forellen schwimmen, vielleicht ein wenig betäubt von all dem Neuen. Ich bleibe jenseits des Wassers vor den einsamen Häusern von Tropino stehen; eine Handvoll Ställe, die von der Zeit und dem Elend schwarz geworden sind. (Einst aber war der Weiler bedeutend und dicht besiedelt. Er wird schon in einem Dokument aus dem Jahre 1411 erwähnt, in dem die Gemeinde Mergoscia einen Guillermuzetum ermächtigte, die Unterwerfung unter den Herzog von Savoyen zu vollziehen. In dem Dokument werden die Bewohner von Mergoscia von denen von Tropino unterschieden.) In einem jener Ställe, die sich im Wasser spiegeln, wurde vor mehr als einem Jahrhundert meine Mutter geboren. Ich weiss nicht, war es in dem jetzt noch unberührten oder in dem schon des Daches beraubten, oder in dem, den eben jetzt die Fluten bespülen. Und sie wurde dort unter Verhältnissen geboren, die man nicht zu schildern wagt, denn niemand würde einem glauben.