Читать книгу Der Stammbaum. Chronik einer Tessiner Familie онлайн

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Die wenigen übriggebliebenen Ställe sehen aus wie Tiere, die sich dort am Ufer des Wassers zum Trinken niederkauern. Wie ein erschrockenes Auge sperren sie das einzige weissumrandete Fensterchen im Grau der rauen Mauer auf. Sie sind die Denkmäler dessen, was die Welt meiner Vorfahren gewesen ist, die Trümmer des Stalls, wo vor mehr als einem Jahrhundert meine Mutter zur Welt kam. Ihre Mutter, meine Grossmutter, war allein. Niemand stand ihr in der Qual der Entbindung bei. (Und es war ihre erste Entbindung.) Um sich irgend­wie zu ernähren, musste sie hinausgehen und eine Handvoll Gras ausraufen. (Es war Februar, und an jener Stelle ist es lau und mild.) Und sie musste das Gras kochen, um nicht Hungers zu sterben. Es ist, als sei das eine ­Ge­schichte unterentwickelter Völker (wie die Leute es denn auch tatsächlich waren), eine Erfindung der finstersten Romantik. Aber es ist nichts als die lauterste Wahrheit jenes Lebens, das ich mit einer Mischung aus Mitleid und der Bitte um Abwendung des Elends betrachte. Es war ein entsetzliches Leben, hätte man nicht die Gewissheit gehabt, in den Himmel zu kommen. Doch auch diejenigen, welche diese Gewissheit nicht hat­ten, harrten zähe aus …

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