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Einzigartig, allerdings, ist Inglins dickes Buch, auch opus magnum genannt, tatsächlich. Die Gattung «Gesellschaftsroman» erhebt den Anspruch, eine Gesellschaft, bei Inglin die schweizerische von 1912–1918, in ihrer ganzen Breite und Tiefe und ihren Konflikten darzustellen, und der «Schweizerspiegel» hat denn auch «vielen mehr über die jüngste Schweizer Vergangenheit begreifbar gemacht als Schule und Elternhaus» (Lotta Suter). Das ist möglich; die Geschichtsbücher sind eh so langweilig und lückenhaft.

Aber –

Was erfahren wir von der wirklichen Gesellschaft 1912–18 im «Schweizerspiegel»? Wie tief hinunter, wie hoch hinauf schweifte Meinrad Inglin? In welcher Schicht hielt er sich auf? Wovon hatte er eine Ahnung oder einen Begriff, und was hat er ausgeklammert? Von welcher Gesellschaft hat er einen Dunst?

Inglin Meinrad, geb. 1893, kath., Sohn des hablichen alteingesessenen Uhrmachers/Goldschmieds/Dorfpatriziers Meinrad Inglin von Schwyz und der einer Hoteliersdynastie entstammenden Josephine Eberle. Besuch der Mittelschule am Kollegium «Maria Hilf» in Schwyz, Arbeit als Kellner, 1913–14 Universitäten Neuchâtel und Genf, Faculté des Lettres. Freier Schriftsteller mit finanziellen Schwierigkeiten, der Vater ist schon 1906 gestorben (Bergtod). Kampf mit den Verlegern (das Übliche), die meisten frühen Manuskripte werden ihm zurückgeschickt. Nietzscheanische Anwandlungen, Schwärmen für aristokratische Lebensformen («Herr Leutnant Rudolf von Markwald», 1916, «Phantasus»). 1915 Offiziersschule in Zürich, Leutnantspatent. Langer Aktivdienst im Jura, Tessin etc. Redaktionsvolontär am «Berner Intelligenzblatt» (freisinnig) und später an der «Zürcher Volkszeitung». 1922 für kurze Zeit in Berlin; nebst späteren Italienreisen der einzige Auslandaufenthalt. In den Städten ist ihm auf die Dauer nicht wohl, da fehlen ihm z.B. die Gemsjagd und andere Urwüchsigkeiten. 1922 zurück nach Schwyz, das er aber fluchtartig verlassen muss, nachdem sein Roman «Die Welt in Ingoldau» erschienen ist (1922), in welchem sich zahlreiche Eingeborene zutreffend geschildert, d.h. verhöhnt, fühlen. Vorübergehend Asyl in Zürich, wo auch seine zukünftige Frau Bettina, geb. Zweifel, Tochter eines kleinen Bankiers, lebt. (Der Bankier war knausrig mit seinem Schwiegersohn.) Von 1923 sodann bis zu seinem Tod 1971 sozusagen ununterbrochen in Schwyz verharrt, wo er bei einer Verwandten kostengünstig unterschlüpfen konnte. Finanziell knapp über Wasser, den Kopf aber immer patrizisch hoch getragen, nett integriert in der Schwyzer Dorfaristokratie (Gemsch, von Reding). Im 2. Weltkrieg nochmals Aktivdienst als Oberleutnant. 1948 Ehrendoktor der Universität Zürich, darf im Sechseläuten-Umzug mitmarschieren. Wird jetzt in Schwyz nicht mehr als «Herr Oberleutnant» angesprochen, sondern als «Herr Doktor», was er schätzt.

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