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Später, Anfang der achtziger Jahre, hat mir Heidi, mein Heidi, jene archetypische, in das kalt-gigantische Deutschland verschlagene Unschuld, nochmals auf die Sprünge geholfen bzw. gute Dienste geleistet. Beim «Stern» – ich wurde, als einfacher Schweizer, einen Monat lang im hamburgischen Mutterhaus, im grossen Spital an der Alster, eingeweckt und mit dem Haus-Geist vertraut gemacht, bevor ich für kurze Zeit die Stelle eines Pariser Korrespondenten antrat – spielte ich mit einigem Erfolg das Heidi. Wie hätte man sich in jener Anstalt, die von zahlreichen Rottenmeiers, männlichen und weiblichen, bevölkert war, anders zur Wehr setzen können? Jenen Schlafwandler-Part brauchte ich allerdings nicht zu übernehmen, den spielten die Herren Chefredakteure Schmidt & Koch und der Vorstandsvorsitzende Schulte-Hillen, es war nämlich die Zeit der Inkubation der «Hitler-Tagebücher», aber sonst kam mir die Rolle zupass. Wenn man mit brummendem Schädel aus dem Konferenzsaal kam; wenn die Intrigen so üppig ins Kraut geschossen waren, dass niemand mehr den Durchblick hatte; wenn die Chefredakteure sich wieder einmal wie Offiziere gebärdeten und die Zeitung mit einer Kaserne verwechselten; wenn Herr Koch – (bzw. Fräulein Rottenmeier, also die Gouvernante) – «sehr aufrecht zur Musterung der Dinge durch das Zimmer ging, so wie um anzudeuten, dass, wenn auch eine zweite Herrschermacht [= Herr Schmidt] herannahe, die ihrige dennoch nicht am Erlöschen sei» (Johanna Spyri), und wenn der Schreibende partout NIKLAS oder NIKOLAUS genannt wurde, statt eben NIKLAUS, wie es bei ihm zu Hause Brauch war, und also sogar sein Name mutierte, HEIDI hatte man in Frankfurt zur ADELHEID machen wollen – dann konnte er seine Haut nur retten, indem er die Unschuld vom Lande spielte und in kitzligen Situationen immer wieder betonte: «Für Heidi ist das alles viel zu gross», wodurch er sich eine gewisse Narrenfreiheit sicherte und man ihn bald im Haus ganz allgemein «das Heidi» nannte. Fehlte nur die gutige Grossmama. Nannen kam für diese Rolle nicht in Betracht, obwohl eine gewisse Altersweichheit, um nicht zu sagen Alterserweichung, bei diesem schlohweissen Herrn sofort auffiel. Aber von den Bediensteten, den Dienstbotennaturen, Kutschernaturen im Stile der Spyrischen Johanns und Sebastians und Tinettes, war wirklich, so schien es dem Heidi, jede Menge vorhanden, so dass man sofort in die Lesebuchwelt der Kindheit zurückversetzt war und den harten Hamburger Monat, die, wenn ich so sagen darf, infantilisierende Atmosphäre auf dem Affenfelsen, fast unbeschadet überdauerte, mit dem lieben Buch im Gepäck.

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