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Da hätte ein unbefangener, aber genau und liebevoll lesender Leser doch wirklich schon lange auf den Gedanken kommen können, dass mit dem «alten Raubvogel» der muntere, äusserst gut erhaltene Grossvater gemeint ist, welcher mit dem Geissenpeter erbittert um die Gunst des Heidi rivalisiert; und was mit den Felsen, über die das Mädchen nicht hinunterfallen darf (freier Fall! Flug! Angst vor dem Fliegen!), gemeint ist, liegt auch auf der Hand (… «der Öhi hat's verboten»). Beide Männer, der Alte und der Adoleszent, hatten vermutlich ihr Augenmerk auf die DUFTENDEN PRÜNELLEN gerichtet, und die olfaktorische Gewalt der ungestüm ihren Duft verströmenden Berg-Pflanzen-Welt, das verführerische alpine PARFÜM, hat bestimmt nichts zur Triebdämpfung beigetragen (wir sind seit Patrick Süskinds Roman auch über diesen Aspekt gründlich informiert). Wen wundert's da noch, dass «der Peter eingeschlafen war nach seiner Anstrengung», er hatte sich «lang und breit auf den sonnigen Weideboden hingestreckt, denn er musste sich nun von der Anstrengung des Steigens erholen» (sic!), und «Heidi hatte unterdessen sein Schürzchen losgemacht», und «es war ihm so schön zumut, wie im Leben noch nie». Im Schürzchen befinden sich unterdessen all die sorgsam gepflückten (gebrochenen?) verschiedenartigen Bergblumen, Alpenrosen etc., sah ein Knab' ein Röslein stehn. Der gepflückte Flor, De-flor-atio. Und wirklich, Johanna Spyri trägt die Farben immer dicker auf (nur hat sie das nicht merken wollen), ohne den Sachverhalt – wie Fredi Murer das tut – präzis beschreiben zu können. Das war eben damals, im ausgehenden 19. Jahrhundert, noch nicht möglich. Andrerseits, wenn man Johanna Spyri richtig interpretiert, wird man auch den Film von Fredi Murer mit Heidi-Leseerfahrungen anreichern können, so ist z.B. die Wut des Vaters, der um die Gunst des Mädchens wirbt, sicher auch ödipal aufgeladen.

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