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In Maienfeld nun fand die Witwe, so schien es ihr, das Paradies ihrer Kindheit wieder, eine unbefleckte Welt. Während in Zürich und überhaupt im Unterland das Kapital die Landschaft veränderte, die Industrialisierung die alten Strukturen zerstörte, so dass Gottfried Keller vor der in kürzester Zeit in einigen wenigen Händen angehäuften Geldmacht warnte (nachdem er vorher dem Liberalismus zum Durchbruch verholfen hatte), war die Bündne Landschaft relativ unberührt geblieben, ganz in der Nähe, in Landquart, gab es zwar einige Fabriken, aber die störten den aufkommenden Tourismus nicht, waren nicht im Blickfeld, und so konnte man denn die Sehnsüchte, welche im heftig wuchernden Zürich nicht mehr befriedigt wurden, in diese Welt hinauf projizieren. Ihre wirklichen Probleme durfte sie als Schriftstellerin nicht formulieren, ihr Herkommen liess das nicht zu, das hätte man einer Frau damals nicht abgenommen, ihre Verhärtung an der Seite des phantasielosen Mannes (auf den Fotografien kann man ablesen, wie ihr Gesicht im Laufe der Jahre versteinerte) war kein Romanthema, das Elend der bäuerlichen Bevölkerung auch nicht, von der ein grosser Teil jetzt zur Auswanderung gezwungen war, nachdem die fremden Kriegsdienste abgeschafft waren. Also scheint sie ihre Wünsche in der zeitlosen, ungeschichtlichen Figur des Heidi investiert zu haben, im lieben, etwas trotzigen, der Welt immerhin mit Courage gegenübertretenden Maitli, das alle Männer der Reihe nach bezaubert, angefangen vom Alpöhi über den Geissenpeter bis zum schwerreichen Herrn Sesemann in Frankfurt, und, im Einverständnis mit der Natur, so gewaltige Heilkräfte entwickelt, dass die an den Rollstuhl gefesselte Klara Sesemann, sobald sie in die Berge kommt, an der Alpenluft genest (und, wunderbare Heilung wie im Evangelium, wieder laufen kann).