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Draussen dann, wenn man den Berg hinansteigt, dort, wo auch Frau Spyri hinangestiegen war und sie blitzhaft, nachdem ihr einige Geissen zu Gesicht gekommen waren und vermutlich auch ein bärtiger Senn, die Heidi-Idee hatte, als sie bei der Familie von Salis in der Sommerfrische weilte (in Jenins; das Salis-Haus ist heute Pfarrhaus) – draussen sieht man heute keine Geissen mehr. Die paar spärlichen überlebenden Tiere werden heute nur noch von den Hirten zur Selbstversorgung gehalten, vereinzelt, bald wird man ein paar ausgestopfte Exemplare im Heimatmuseum besichtigen können, neben den alten Söldnerharnischen und -hellebarden. Als Romanschriftstellerin hatte es Frau Spyri nicht einfach. Die grossen kriegerischen Themen waren besetzt von den Männern, Conrad Ferdinand Meyer, mit dem sie einen lebhaften Briefwechsel führte, schickte sich an, die bündnerische Kriegs- und Freiheitsgurgel Jürg Jenatsch literarisch zu verbraten, ausserdem auch diesen Duc de Rohan, der die Burgunder-Reben gebracht hatte, und Gottfried Keller war bereits als Sänger der jungen Demokratie (oder des Liberalismus?) aufgetreten. Blieb ihr als Marktlücke nur die Idylle, und da sprang sie schwupps hinein und kolonisierte literarisch die Bündner Alpenwelt auf ihre zürcherische Weise (Meyer und Spyri wichen nach Graubünden aus, der erste in die Historie, die zweite in die Idylle; Keller blieb in Zürich und schrieb realistisch). Sie kolonisierte Graubünden, d.h., verlegte ihre Sehnsüchte in die nach ihrer Ansicht heile Alpenwelt, und erfand also einen ihrer 36 Romane in dieser Gegend – das Heidi. Seither ist die Gegend vom Mythos überkrustet. Als Tochter eines Arztes und einer schriftstellernden Mutter hatte sie eine, wie man wohl sagen darf, glückliche Jugend in Hirzel, auf einer welligen Anhöhe bei Zürich, in ungetrübt ländlicher Umgebung verlebt, sich dann mit dem ebenso staubtrockenen wie tüchtigen Juristen Johann Bernhard Spyri (1821–1884) vermählt, der ihre dichterischen Neigungen kaum förderte und während der Mahlzeiten, anstatt angeregt mit seiner Frau zu diskutieren, seinen Kopf öfters hinter einer Zeitung versteckt haben soll. Er hat denn auch Karriere gemacht und seine Laufbahn als Stadtschreiber von Zürich abgeschlossen. Johanna Spyri gebar ihm, wie man damals sagte, den Sohn Bernhard Diethelm (1855–1884), der noch vor dem Vater starb.