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Und nun endlich: ein Spaziergang. Mit dem Fotografen Roland Gretler, der aber nicht mit dem Heinrich Gretler, jenem Alpöhi-Darsteller aus dem schweizerischen Heidi-Film, verwandt ist. Die Gegend von Maienfeld, in der Frau Spyri, geb. Heusser, ihr Personal angesiedelt hat, ist von einer südlich anmutenden Grosszügigkeit. Oder Weitschweifigkeit? Man wähnt sich im Veltlin, es wächst auch ein entsprechender Wein, der sogenannte Herrschäftler (Maienfelder, Jeninser, Malanser), und die Berge erheben sich hier nicht wie Bretter vor dem Kopf, stehen als weit weg gerückte, entrückte Kulisse am Horizont. Man hat Platz, die Gedanken können schweifen, die Herbstluft liegt dünstig über der Talsohle, die Trauben reifen prächtigstens. Uralte Steinmauern fassen die Wiesen ein, Mostbirnen liegen zerplatzt auf einer Naturstrasse, Wespen summen, eine alte Römerstrasse führt nach Chur (Curia Rhaetorum, so hat die Stadt doch wohl geheissen?), und natürlich wird die Ruhe wieder von einem dieser kostbaren schweizerischen Düsenflugzeuge zerspellt. Maienfeld gegenüber in der Höhe liegt das ehemalige Benediktinerkloster Pfäfers, heute Irrenanstalt, die Internierten danken für den Militärdonner, weiter hinten die Taminaschlucht. Manchmal stürzt eines von den jaulenden Flugzeugen ab, aber nie so viele, dass die Ruhe garantiert wäre. Die Starfighter-Verlustquote wurde noch nicht erreicht. Die Gegend hier war aber schon immer militärisch geprägt, im 17. Jahrhundert hatte der französische Heerführer Duc de Rohan, der in Richelieus Auftrag die sogenannten Bündner Wirren zugunsten Frankreichs entscheiden sollte, in der Nähe sein Heerlager bezogen und nebst der Soldateska und den Lagerhuren auch die Burgunderrebe mitgebracht, welche seither, nachdem sie sich akklimatisiert hatte, im Lande geblieben ist und den Herrschäftler zeitigt, während das ausländische Militär wieder abgezottelt ist. Der Wein kommt bei Johanna Spyri überhaupt nicht vor, ihr Personal liebt Milch und Käse. Ganz in der Nähe, auf der Luziensteig, wird die Schweiz gegen Österreich verteidigt (Kaserne), und in Maienfeld haust das alteingesessene Bündner Militärgeschlecht der Sprecher von Bernegg, deren bekanntester Spross, ein gewisser Theophil von Sprecher, Generalstabschef der schweizerischen Armee im Ersten Weltkrieg gewesen ist und zusammen mit dem cholerischen General Wille eine den Zentralmächten freundlich gesinnte Strategie entwickelte. Während der Oberbefehlshaber Wille dem Bundesrat geradewegs empfahl, auf seiten Deutschlands in den Krieg einzutreten, begnügte sich sein Generalstabschef mit der Ausarbeitung von Plänen, welche die Besetzung Oberitaliens durch die Schweizer Armee, an der Seite von österreichischen Divisionen, vorsah; und wenn man die beiden hätte machen lassen und der aristokratische, der herrschenden österreichischen Clique nahestehende Sprecher seine Pläne hätte ausführen können, wäre die Schweiz ins Schlamassel geraten und hätte dann zu den Verlierermächten des Ersten Weltkriegs gehört. Zum Dank für die katastrophalen Planungsdienste werden die beiden Kriegsgurgeln in den Lesebüchern dankend erwähnt; und man kann dort lesen, dass der Wahlspruch des einfachen Soldaten im Ersten Weltkrieg hiess: «Was Wille will und Sprecher spricht,/das tue schnell und murre nicht.» Das Herrenhaus, oder wohl doch eher Schloss, der Sprecher von Bernegg steht mitten im hübschestens herausgeputzten Städtchen Maienfeld, drinnen sieht es aus wie im Museum, bösartige, energische, manchmal auch nachdenkliche Offiziersköpfe dräuen aus den Bildern, haben jahrhundertelang schweizerisches Kanonenfutter in fremde Dienste geführt, dafür ihre Pensionen eingestrichen und die Landeskinder in allen möglichen Kriegen verheizt. Die gewölbten Gänge machen wirklich den besten Eindruck, und die heute herrschende Frau von Sprecher, eine geborene Calonder oder Caluori, gelernte Gärtnerin, wirkt zugeknöpft – ihr Mann ist Bankier in Chur, das bringt jetzt mehr als die Berufsoffizierlaufbahn; und mit einiger Verwunderung muss der auskunftheischende Reisende feststellen, dass er während des Gesprächs, aus welchem hervorgeht, dass Frau von Sprecher den Heidi-Rummel verabscheut und ihn aus grösster Distanz betrachtet, keineswegs eine Karaffe voll funkelnden Herrschäftlers aufgefahren wird, obwohl die Gegend doch von Trauben strotzt; und ist er dergestalt gänzlich auf dem Trockenen sitzen geblieben. Der Hausherr war nicht anwesend, muss wohl an diesem Nachmittag den Bankgeschäften gefrönt haben.

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