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Sie weilte bei der aristokratischen Familie von Salis, die auch, wie Familie von Sprecher, vom Grossgrundbesitz und früher vom Verkauf der Söldner an fremde Potentaten gelebt hatte, aber dieses Milieu beschrieb sie nicht. Was ihr vertraut ist, schildert sie nicht, und was sie schildert, ist ihr nicht vertraut. Von den Bergbauern hat sie keine Ahnung. Und sie musste, wenn sie Erfolg haben wollte, nach Deutschland schielen (das mussten Keller und Meyer auch), auf dem schweizerischen Markt allein fand sie nicht genügend Abnehmer, und so waren denn prompt ihre heftigsten Bewunderer die deutschen Rezensenten. Diese verstanden von der bündnerischen Bergwelt noch weniger als die Schweizer Rezensenten des Unterlandes. Indem sie ihre eigenen Sehnsüchte befriedigte, die unterschwellige, ihr vermutlich unbewusste Erotik forcierte – die im wilhelminisch verklemmten Deutschland gut ankam – und sich selbst ein idyllisches Landleben vorgaukelte wie die zürcherischen Bukoliker des 18. Jahrhunderts, verpasste sie zugleich dem Deutschland der Gründerzeit eine wohlfeile Idylle. Das ging natürlich nur, wenn man das deutsche Personal im Roman positiv schilderte, Herr Sesemann ist ein edler, schwerreicher Bürger-Handelsmann, woher sein Reichtum kommt, erfährt man nicht. Die Dienerschaft ist liebreich, etwas kauzig und natürlich angepasst, die Frankfurter Grossmama ein Ausbund von Edelmut, und die Klara im Rollstuhl ist hilfreich und gut. (Vielleicht kommt dort etwas Zivilisationskritik zum Vorschein: das Stadtleben kann lähmend sein.) Was dem Schweizer Maitli noch fehlt, kann es in Deutschland holen, etwas Welterfahrung, Weltluft schadet nicht, aber immer mit Mass, und was den Deutschen fehlt, finden sie auf der Alp, nämlich Gesundheit und Genesung für die lahme Klara. So sind die beiden Länder psychologisch aufs innigste miteinander verbunden, verwoben wie ihre wirklichen Handelsbeziehungen, und so wie kurz vor dem Ersten Weltkrieg der deutsche Kaiser in der Schweiz begeistert begrüsst wird, begeisterter als sonst im Ausland, und wie Deutschland überhaupt ganz allgemein hoch im Kurs stand, sind auch die edlen Deutschen auf der Alp willkommen, die sie in absehbarer Zeit kolonisieren werden. Nur eine deutsche Figur bleibt unsympathisch, aber die ist nicht zufällig subaltern, der Ekel des Lesers kann ungestraft auf Fräulein Rottenmeier abgeladen werden, das strahlende Deutschland-Image leidet darunter nicht – Fräulein Rottenmeier wird ja dann auch wirklich von Herrn Sesemann und der liebreichen Grossmama zusammengestaucht.

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