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Unterdessen habe ich Heidi leider anders lesen gelernt, seine Unschuld hat gelitten. Schuld daran ist Fredi Murer. In Zürich läuft nämlich jetzt, seit Herbst 1985, mit grossem Erfolg ein Film von Fredi Murer: «Höhenfeuer». Dieser Murer hatte vor Jahren einen Dokumentarfilm über die urnerische Bergwelt gemacht unter dem Titel «Wir Bergler in den Bergen sind eigentlich nicht schuld, dass wir da sind», wo vor allem die Arbeitswelt und die alte Kultur der Bergbauern gezeigt wird und also kein Zuschauer auf die Idee kam, einen Vergleich mit der Heidi-Welt zu ziehen, hatte doch Johanna Spyri das Geldverdienen, das Rackern und Malochen der Bergbauern, den Existenzkampf und die alten Riten völlig aus ihrer Idylle ausgeklammert: die Reinheit ihrer Figuren hätte unter einer hart dargestellten Wirklichkeit leiden können, der Absatz ihrer Bücher auch. In «Höhenfeuer», einem Spielfilm (erster Preis am Filmfestival von Locarno), lässt Murer nun in realistisch geschilderter Bergbauern-Familienatmosphäre zwei Geschwister auftreten, die mit den Eltern nicht zurechtkommen (während die Grosseltern – wieder eine gütige Grossmama! – positiv gezeichnet sind). Der Bub hat Sprachhemmungen, die Bergeinsamkeit hilft ihm nicht, seinen erwachenden Sexualtrieb in normale Bahnen zu lenken, die Eltern sind ziemlich verständnislos, das Mädchen ist dem Buben überlegen, hilft ihm beim Lesen- und Schreibenlernen, schliesslich gehen sie miteinander so hoch hinauf, bis es nicht mehr weitergeht, und lieben sich im Angesicht der Berge, in der freien Natur. Der Bub zeigt sich dem Vater gegenüber weiterhin störrisch, der Vater bedroht ihn mit dem Gewehr, die beiden raufen miteinander, ein Schuss geht los, es trifft den Vater, die Mutter trifft der Schlag, die beiden werden von den Geschwistern aufgebahrt und im Schnee begraben. Also eine Inzest-Geschichte, wie sie in der Bergeinsamkeit vorkommen mag, mit blutigem Ende. Das Zürcher Publikum hat die Geschichte plausibel gefunden, man hält so etwas durchaus für möglich, die Story könnte, so sagt Murer, selbst ein gebürtiger Urner und Kenner der Bergler, so oder ähnlich passieren, und dass sie nicht aus der Luft gegriffen ist, wird von etlichen Volkskundlern – Ethnologen? – bestätigt.