Читать книгу Reportagen 1+2 онлайн
175 страница из 255
Kein Land ist von seiner Tradition, von dem Gesetz, unter dem es angetreten ist, so abgefallen wie die Schweiz. Ich liebte damals die Schweiz, die ich während des Ersten Weltkriegs kannte. Da hat Süddeutschland einmal einen Kopf gehabt! Wie viele prachtvolle Fürsprechs habe ich damals kennengelernt, die wollten mich zum Ehrenbürger von Interlaken machen, damit ich nicht ausgewiesen würde. Auf diese Weise kann man innerhalb von fünf Minuten schweizerischer Staatsbürger werden. An dem Morgen, als das beschlossen wurde, kam ich ins Restaurant «Chrütz» oder ins «Fédéral», da war gerade die Revolution in Bayern ausgebrochen, da hat mich ein Berner Fürsprech umarmt und geküsst. Ich fragte: Und wie steht's nun mit dem Ehrenbürger von Interlaken? Wo jetzt endlich die deutsche Revolution ausgebrochen ist, da kann sich die Schweiz ausweiten zu einer Welt-Schweiz. Darauf meinte der Fürsprech Allenbach: Also hör, Ernst, jetzt müssen wir dir erst recht die schweizerische Staatsbürgerschaft verleihen, was du gesprochen hast, sagtest du als än rächte Schwiizer. Gut, darauf haben wir gelacht und wieder ein bisschen Roten getrunken. Und da hab' ich noch eins hinzugefügt: Konstanz geb' ich nicht her, das kommt mir nicht zum Kanton Thurgau! Also gut, da hab' ich die herrlichsten Freunde gehabt, war wie 'ne nachgeholte Pennälerzeit. Schulkameraden. Wir wurden alle jung durch die Ereignisse. Und ist keine Spur von Spiessertum gewesen. Und haben mir Geld gegeben, damit ich leben konnte. Das war damals noch der Citoyen, der in der Schweiz den Ton angab.* * Blochs erster Schweizer Aufenthalt dauerte vom Mai 1917 bis zum Januar 1919, als er, mit Wohnsitz in Bern und später Interlaken, eine Studie über pazifistische Ideologien in der Schweiz anfertigte und ca. 100 Artikel, z.T. unter Pseudonym, für die «Freie Zeitung» schrieb. Die Emigranten galten in Deutschland als Landesverräter, ihre Produkte konnten nur getarnt ins Reich geschmuggelt werden, so z.B. unter dem Titel «Winterkurorte in der Schweiz». Dieses erste Schweizer Exil hatte Bloch halbwegs aus freien Stücken gewählt, er war nicht aus Deutschland verbannt, konnte aber in der Schweiz mit Zeitungsartikeln Geld verdienen, die er in Deutschland nicht hätte schreiben können. Das zweite Mal kam Bloch, gefolgt von seiner zukünftigen Ehefrau Karola Piotrkowska, als politisch Verfolgter in die Schweiz, am 6. März 1933. Die beiden lebten zuerst in Küsnacht, dann in Zollikon (in der Wohnung des Schriftstellers Hans Mühlestein), hin und wieder auch im Tessin. Sie «verhalten sich insgesamt so, dass die Schweizer Behörden, ängstlich auf Wohlverhalten gegenüber Nazi-Deutschland bedacht, mit immer grösserem Unbehagen reagieren. (…) Im Sommer 1934 kommt die Ausweisungs-Verfügung der Berner Fremdenpolizei – ohne Begründung.» (Peter Zudeick, Ernst Bloch, Elster-Verlag 1987) Am 15. September müssen sie die Schweiz verlassen: Karola fährt zu ihren Eltern nach Lodz, Ernst vorläufig an den Comersee. Sie können von Glück reden, dass sie nicht direkt den Nazi-Behörden ausgeliefert werden. Auskünfte von Karola & Ernst Bloch